Kritik am Midgard System

Archivierte Threads
Benutzeravatar
Helge
Illuminatus maior
Beiträge: 1994
Registriert: Mo Jun 14, 2004 14:07
Realname: Helge Hudel

Beitrag von Helge »

Von "herumwerfen" war nicht die Rede...
GNS-Theorie liegt nach meiner Auffassung einem gerüttelt Maß an Äußerungen in diesem Strang zugrunde.
Da man nun Ron Edwards anhängen, ihm widersprechen oder ignorieren kann, habe ich mich für letzteres entschieden, da ich mich in diesem Theoriegebäude nicht wieder finde.
Wie oft "trotzdem" vorkommt? Nun 15 Jahre (im Falle von Midgard) lassen sich nicht so einfach ignorieren, 12 im Falle von Traveller/MegaTraveller, bei dem die Regeln auch eher schwach sind und unterdessen 10 Jahre beim BRP, dass auch nicht auf alle Fragen zufriedenstellende Antworten bietet.
Ich behaupte jetzt einfach einmal, dass es gar keine ideale Lösung gibt (auch nicht genrespezifisch), die ein Regelbuch abdecken könnte.
Ich hab' eine ganze Reihe von Systemen ausprobiert und bin keinem System begegnet, bei dem ich nicht spätestens nach der dritten Sitzung angefangen hätte zu modifizieren. Und dann lasse ich lieber weg als mühselig hinzu zu erfinden.
Es hat tatsächlich kein RSP-Erlebnis gegeben, das wegen eines Systems besonders toll gewesen wäre - vielmehr war es wegen diverser Systeme, dass es besonders nervig wurde.
Fakt ist einfach für mich, dass Midgard mich mit am wenigsten genervt hat, da man sehr viel einfach weglassen kann, ohne dass die Spielbalance kippt.
Und es bedient eben einen gewissen Fantasy-Stil, wo die Abenteurer erst zu Helden heranwachsen müssen und nicht mit einem Hackmaster+12 ausgewürfelt werden - oder zumindest die entsprechende Attitüde propagiert wird.
In myMidgard "reifen" die Charaktere ziemlich schnell heran - entsprechend sind eben auch die Anforderungen (und entsprechend werde ich eben auch das Lernsystem modifizieren müssen - ist noch nicht ganz ausgereift, aber nicht willkürlicher als das kanonische System).
HarnMaster wäre mir an einigen Ecken vermutlich lieber gewesen, bedient aber nicht den Magie-Level meiner Kampagne - wie gesagt, ich lasse dann lieber weg als das Rad neu zu erfinden.
Duct tape is like the force. It has a light side, a dark side, and it holds the universe together!

Insanity is overrated!
Benutzeravatar
Daniel
Illuminatus regens
Beiträge: 3853
Registriert: So Jun 23, 2002 11:48
Realname: Daniel Schrader
Wohnort: Bronnen
Kontaktdaten:

Beitrag von Daniel »

Sage hat geschrieben:Ich behaupte jetzt einfach einmal, dass es gar keine ideale Lösung gibt (auch nicht genrespezifisch), die ein Regelbuch abdecken könnte.
Für mich gibt es im Now-Setting solch ein ideales System, und das heißt, wie nicht anders zu erwarten, Unknown Armies. Es unterstützt die Art meiner Geschichtenerzählung perfekt, und ich sehe kein Verbesserungspotential, für meine Runde.

In den Fantasy-Systemen bin ich nicht so bewandert, und kenne eigentlich nur DSA, D&D und Midgard. Da mir D&D absolut nicht zusagt, lag eben die Hoffnung auf Midgard, um mit diesem System Fantasy-Welten und deren Geschichten erleben zu können. Aber DSA (3 oder 4) scheint da das geringere Übel als Midgard zu sein, und meine Frage (wie auch schon formuliert) wäre an die Midgard-Spieler, ob es einfach nur Faulheit ist, sich nicht nach einem anderen System umzuschauen und Abenteuer ggf. zu konvertieren, oder ob die Reize in Midgard tatsächlich die (nur z.T. aufgezählten) Nachteile aufwiegen.

Die bisherige Argumentation deutet eher auf (sicher berechtigte) "Faulheit" hin, statt auf die Begeisterung für das System. Wenn dem dann so wäre, würde sich für mich ein weiterer Sack von Fragen auftun.
Was bleibt ist Rot und Blau.
Benutzeravatar
Helge
Illuminatus maior
Beiträge: 1994
Registriert: Mo Jun 14, 2004 14:07
Realname: Helge Hudel

Beitrag von Helge »

Das könnte ich jetzt als persönlichen Affront nehmen :eh: - ich habe durchaus DSA getestet, Daniel, und auch D20 steht bei mir zu Hause und ich halte sie für meine Bedürfnisse für ungeeignet.
Bei beiden liegt es an der jeweiligen Gesamtkonzeption von System und Welt.
Ich leite derzeit kein LowMagic-Medieval-Setting, spiele jedoch seit Jahren in einem und dafür benutzen wir HarnMaster, wie ich auch schon wiederholt erwähnte, glaube ich mich zu erinnern.
Dein "Vorwurf", wir Midgard-Anhänger schauten nicht über den Tellerrand ist also ein wenig leichtfertig (an Florian geht der Vorwurf eh meilenweit vorbei) und diente hoffentlich der Anstachelung einer kontroversen Diskussion.
Ich wollte uns aber eine nutzlose Systemaufzählung ersparen, kann ich aber gern machen:
Earthdawn - sagt mir nicht zu, Grund: Würfelsystem und Welt
D20 - System leuchtet mir nicht ein und wenn ich jemals wieder Lust auf Faerun, Forgotten Realms verspüre, dann bestimmt dann, wenn ich angefangen habe, Xena und Hercules zu mögen
Mondragor - völlig kryptisches "viele-W10-und-sonderbare-Schwierigkeitsgrade"-System, Wüstenplanet mit Elfen statt Fremen
AERA - interessantes Kampagnensetting für frühes Mittelalter bzw. Völkerwanderung, findet aber keine Interessenten in meinem Mitspielerkreis und ist nicht sooo spektakulär, dass ich dafür missionieren würde
DSA3/4 - Regelüberladung, Weltüberladung
Myranor - da hab' ich kürzlich mal rein geschaut :arrow: die Fortsetzung der DSA-Philosophie mit mehr Armen und mehr Fell
GURPS 3/4 Fantasy - wie immer bei GURPS: schöne QBs, die an GURPS kranken
Söhne des Lichts/Ruf des Warlock - müssen RSP-Satire sein
Arcane Codex - Mundstuhl haben ein RSP raus gebracht und in vielen Welten das Beste schlecht geklaut (man meint bei vielen Elementen noch das "Made in Thraal" oder "UnderdarkTM" zu erkennen)
MERS/RoleMaster - vor lauter Regeln wurde das Spiel vergessen
Warhammer FRP - das hab ich leider noch nicht gespielt, es hat eine "Heavy Metal/Speed Metal"-Welt mit viel scharzem Humor und ein paar sehr abstrusen Ansichten, über die Regeln vermag ich nicht viel zu sagen - sie sind wohl kompatibel zum Tabletop

Ist es so schwer zu verstehen, dass man bei einem Spiel bleibt, dessen Setting man mag und wo man nur Nuancen an der Welt ändern muss, um die eigene Sichtweise für die Spielrunde einzufangen? Wo es genügt, überzählige Regeln wegzulassen, um zu einem zufriedenstellenden, einem hinreichenden Regelwerk zu gelangen?
Aber es ist nicht so, dass ich in den vergangenen 15 Jahren nicht den Arsch hoch gekriegt hab, um was anderes zu testen.
Macht mich halt nicht so an...
Unknown Armies passt jetzt nicht recht zum Thema, daher nur soviel, dass sich, seit ich mich mehr damit auseinandersetzen konnte, es für mich nicht attraktiver wurde.
Ich bin bereit, meine vorherige Behauptung dahingehend zu modifizieren, dass mir noch keine ideale Lösung begegnet ist.
Ist das konsensfähig?
Duct tape is like the force. It has a light side, a dark side, and it holds the universe together!

Insanity is overrated!
Benutzeravatar
Lhankor Mhy
Illuminatus regens
Beiträge: 2636
Registriert: Di Jan 14, 2003 23:58
Realname: Frank
Wohnort: Ulm
Kontaktdaten:

Beitrag von Lhankor Mhy »

Daniel hat geschrieben:Die bisherige Argumentation deutet eher auf (sicher berechtigte) "Faulheit" hin, statt auf die Begeisterung für das System. Wenn dem dann so wäre, würde sich für mich ein weiterer Sack von Fragen auftun.
Muss man denn für ein Regelsystem wirklich "begeistert" sein, um es zu spielen?

Also auch das BRP ist im Vergleich mit vielen anderen möglichen Systemen nicht das Gelbe vom Ei. - Aber es ist GUT GENUG für Cthulhu, Stormbringer, RuneQuest, etc. - Und das ist doch schon was.

Ein Regelsystem, welches mich begeistern kann, garantiert mir noch lange nicht eine interessante Rollenspielrunde. Dazu gehören neben der Spielwelt, dem Setting ja als wesentlichstes Element die anderen Spieler dazu. Wenn da die "Chemie" stimmt, dann kann man m.E. mit einem noch so verworrenen und unübersichtlichen Regelwerk tolle Spielrunden erleben. - Umgekehrt: wenn die Chemie nicht stimmt, dann hilft mir ein geradezu geniales Regelwerk kein Stück einen verkorksten Spielabend noch zu retten.

Ich würde auch nie von "Faulheit" sprechen, wenn es darum geht, daß man bei seinen Spielrunden bei einem Regelwerk und einer Spielwelt bleibt, die alle Mitspieler kennen, wo alle Schwachpunkte bekannt sind und von allen entweder akzeptiert oder durch Hausregeln dazu "Workarounds" existieren. - Das ist wie mit einem alten Paar Schuhe: es ist bequem, es funktioniert für alle, die es verwenden wollen, und man fühlt sich dabei wohl.

Man muss ja nicht ständig auf der Suche nach dem nächsten Rollenspiel sein, das vielleicht "grünere Weiden" verspricht, als die, auf denen man sich gerade befindet. Ich habe früher weitaus mehr Regelsysteme ausprobiert und viele Spielwelten angelesen/angespielt. Midgard habe ich auch lange Zeit gespielt. Es war im Vergleich zu AD&D damals(!) ein Quantensprung hin zu mehr Freiheit bei der Charakterentwicklung. Heute stellt sich das etwas anders dar. Midgard hat mich vom Regelsystem nie "begeistert". Aber es bot unserer alten AD&D-Gruppe die Möglichkeit mal Low Fantasy mit weniger engen Klassenschranken für die Charaktere auszuprobieren. Und wenn es uns nicht gefallen hätte, dann wären wir wohl kaum so lange dabei geblieben.

Nach ein paar Jahren Kampagnen-Spiel kann sich aber auch eine gewisse Müdigkeit einschleichen, und das ist immer ein guter Punkt mal andere Systeme/Welten auszuprobieren. So sind wir dann zu RuneQuest/Glorantha gekommen. Das aber auch nicht für ewig.

Auch im Sci-Fi-Bereich bin ich dem Setting von (Classic) Traveller immer noch sehr verhaftet (unser alter Traveller-Kampagnen-Spielleiter bereitet gerade eine Traveller-Kampagne vor - jedoch nach Savage Worlds Regelsystem, da uns allen das alte Traveller-Regelsystem doch inzwischen(!) zu alt erscheint, um unseren aktuellen Spielstilwünschen nachzukommen - damals 1981 war das ganz was anderes: ein Rollenspiel ohne Klassen, mit einer Vorgeschichte der Charaktere, die auch mal als erfahrene, wenn auch alte, Charaktere das Spiel beginnen konnten, war im Vergleich zu den üblichen "Aufstiegsgeschichten" der Fantasy-Rollenspiele sehr innovativ).

Faulheit oder - netter - Bequemlichkeit kann man und sollte man keinem Rollenspieler vorwerfen, der an einem Regelwerk bzw. einer Spielwelt festhält, die man selbst nicht so prickelnd findet. - Niemand MUSS ständig neue Rollenspiele ausprobieren. Man könnte das Pferd andersherum aufzäumen und fragen, ob die "Regelsystem-Hopper" nicht nur dauerunzufrieden sind, oder ob sie so ungeduldig sind, daß sie sich be einem neuen System nicht die notwendige Eingewöhnungszeit gönnen.

Beides ist m.E. unfair. Manche Rollenspieler mögen ihre altbekannten Spiele ohne faul zu sein. Manche Rollenspieler (ver)suchen gerne mal etwas Neues, ohne ständig unzufrieden oder ungeduldig zu sein.

Man kann in einer Rollenspielsystem-"Monokultur" jahrzehntelang spielen und dabei glücklich sein. Genauso kann der Zeitpunkt kommen, wo man was anderes haben möchte - entweder stattdessen oder zusätzlich zum Altgewohnten.

Midgard ist sicherlich nichts für jeden Geschmack. Wer Midgard zu den Zeiten, als es noch nicht die heutigen "Runzeln und Falten" hatte, kennengelernt hat, der hatte es damals als attraktive Alternative zu den anderen Regelsystemen und Spielwelten wahrnehmen können. Insbesondere zu DSA1, welches wir nur kurz neugierhalber angetestet hatten, war Midgard in jeder Beziehung ein "erwachseneres" System. DSA1 hatte uns damals als AD&D, Traveller, Cthulhu, etc. Gewohnte SEHR wenig begeistern können, weshalb wir DSA ziemlich den Rücken gekehrt hatten. - DSA hat sich aber weiterentwickelt und heute in vielen Bereichen Dinge zu bieten, die Midgard in der aktuellen Fassung nicht hat.

Ich finde nicht das Midgardverhaftetbleiben in irgendeiner Weise problematisch, sondern nur die außerordentlich geringe Innovationsfähigkeit der Midgard-Autoren, die die Regelfassung Midgard 4 zu verantworten haben. Das ist ein Problem, welches sich für die Zukunft von Midgard in NEUEN Runden, nicht in Runden, die in alter Treue das System ihrer Jugend weiterspielen wollen, bedenklich auswirken wird. - Inzwischen gibt es reichlich Fantasy-Rollenspiele, die allesamt Alternativen zu Midgard anbieten können. Auch deuschsprachige. In dieser aktuellen Konkurrenzumgebung kann ich Daniels Frage nach den "Reizen" von Midgard nur zu gut verstehen.

Ich kenne Midgard. Ich kann Midgard nicht "ungekannt" machen. Ich kann mir aber vorzustellen versuchen, wie ich Midgard 4 auffassen würde, wenn ich die Vorgänger nicht kennen würde. Und in diesem Gedankenexperiment käme Midgard 4 als im Vergleich(!) mit anderen aktuellen Fantasy-Rollenspielen wie D&D, DSA, Arcane Codex, Warhammer, etc. nicht gerade begeisternd weg. Dies aber eben nur, wenn ich mich mental verbiege und mir vorzustellen versuche, wie jemand, dem nur die aktuellen deutschsprachigen Fantasy-Rollenspiele im Laden oder sonstwo begegnen, Midgard im Vergleich dazu wahrnehmen dürfte.

Bei den Alten Säcken (tm) ist Nostalgie auch in Bezug auf Regelsysteme IMMER ein Faktor. (Wir spielen demnächst mal wieder das 1979er AD&D-Szenario "The Hidden Shrine of Tamoachan" - das ist so alt, das staubt schon! ;) - Warum? - Weil es einfach nach ewigen Zeiten mal wieder interessant ist, solchen alten Kram herauszubuddeln und zu sehen, ob man mit einem wüsten klassischen "Old School"-Dungeon Crawl noch klarkommt. - Übrigens: Das "The Hidden Shrine of Tamoachan"-Szenario hatte unser damaliger Midgard-Spielleiter GENIAL in den Süden Erainns versetzt und wir hatten das mit unserer längsten Midgard-Kampagne im Midgard-Feeling durchgespielt. Und es hat Spaß gemacht.)

Für Nicht-Nostalgiker wäre aktuell Midgard nicht meine erste Empfehlung. Die ginge bei deutschsprachigen Rollenspielen eher zu D&D, DSA und auch zu Warhammer. Meine Meinung zu AC ist so anders, daß ich keine Empfehlung diesbezüglich ausprechen würde - aber: YMMV.
Benutzeravatar
Flocki
Illuminatus regens
Beiträge: 3549
Registriert: Di Mär 29, 2005 14:22
Realname: Florian

Beitrag von Flocki »

Faulheit? Keine Ahnung, aber ich sag es mal so: Es liegt nicht an mir, dass in meiner Midgard-Gruppe Midgard gespielt wird. Aber ich kenne auch nicht das ideale System, das es wert wäre, meine Gruppe davon zu überzeugen.
Vielleicht auch mal der Aspekt: Das System ist nicht so wichtig, aber es ist (für mich) wichtig, mich gut in einem System auszukennen, da ich dann anders (besser) spielen und leiten kann.
Oder so: Kritik an Midgard ist berechtigt, aber es ist nicht schlechter (oder besser) als andere Systeme (die ich kenne).
Vielleicht ist es auch nur eine Einstellungssache. Ich habe Midgard erst relativ spät kennengelernt, als ich DSA bereits in- und auswendig und D&D recht gut kannte. Am Anfang fand ich auch einige Sachen komisch (und viele davon tauchen in diesem Thema auf). Aber ich habe Midgard deswegen nicht nach dem ersten Spielen verdammt, sondern gespielt - und gemerkt, dass es so auch ging. Nicht besser und nicht schlechter als bei DSA oder D&D, sondern einfach anders.

Mal provokant gefragt: Ist es fair, ein System (nehmen wir mal DSA), dass man häufig und regelmäßig sowohl als Spieler als auch als Spielleiter in allen Stufen gespielt hat mit einem System (nehmen wir mal Midgard) zu vergleichen, dass man bisher nur einmal nur gespielt hat und das nur mit Grad 1 Charakteren?

CU
FLo
Realität ist da, wo der Pizzaman herkommt.
- T-Shirt Aufschrift
Antworten