Meines Erachtens habt Ihr - mit zumeist DSA-Vorerfahrung - von einem Fantasy-Rollenspiel ein anderes Kompetenz-Niveau Eurer SCs erwartet, als es Midgard für Anfänger-Charaktere (die in Midgard wirklich ANFÄNGER sind!) vorsieht. Bei DSA ist ein Start-Charakter schon kompetenter als bei Midgard. Wenn man also heroisches Fantasy-Rollenspiel spielen will und dann aber das weniger heroische (zumindest in niedrigen Graden) Midgard-Fantasy-Rollenspiel spielt, dann liegt ein Unterschied in Erwartungshaltung und dem, was Midgard bieten kann, vor.
Vera hat geschrieben:Die Ausdauer bei Grad 1 Charakteren ist so niedrig, das einige nicht mal einen Schlag im Kampf aushalten bzw. einmal Ausweichen können. Das führte zu solch lächerlichen Szenen das Grundsätzlich die halbe Spielergruppe, manchmal sogar die Ganze, während eines Kampfes auf dem Boden lag.
Das Kampfsystem war früher - Midgard 1 (so um 1981 bis 1986 herum) anders: Da hatte man bei einem normalen Treffer nur AP verloren, und bei einem besonders hohen Trefferwurf (also nicht bei JEDEM Treffer!) möglicherweise auch LP verlieren können. Eine Abwehr wurde nicht mit einer eigenen Fertigkeit "Abwehr", sondern mit einer eigenen Kampffertigkeit (Waffenloser Kampf für das Ausweichen, Schild (welches auch als Nahkampfwaffe dienen konnte) oder einer sonstigen Angriffswaffe (da dann als Parade)) dagegen gewürfelt. Bei einem Erfolg der Verteidigung verlor man bei einem leichten Treffer KEINE AP, bei einem schweren Treffer keine LP, sondern nur AP. - Seit Midgard 2 gibt es jedoch die Abwehr-Fertigkeit und die Regelung, daß man selbst bei noch so erfolgreicher Parade Schaden in Form der nur langsam (im Vergleich mit Puste bei Deadlands, oder Fatigue bei RuneQuest) regenerierenden AP nimmt. Das ist für den Spieler, dessen SC sich erfolgreich verteidigt hat, frustrierend, unverständlich und zudem noch jenseit jeglicher Realismus-Überlegungen.
Warum ist das aber in Midgard so geregelt worden? - Meine Vermutung aus dem bis vor ein paar Jahren fleißigen Lesen von Midgard-Internetdiskussionen: man (lies: die Autoren) will die Spieler(!) erziehen. Sie sollen ja garnicht kämpfen! Es ist böse zu kämpfen. Daher machen wir kämpfen so frustrierend und so gefährlich. - Doch wenn Kämpfen für die SCs so gefährlich ist, dann ist es ja auch für die NSCs gefährlich. Da aber die SCs keinen Spaß am Kampf empfinden sollen, gibt es EP nur für das Wegschlagen von Ausdauerpunkten (= Leichten Treffern im alten Midgard) und nicht für das Umlegen der Gegner. - Das ist ja moralisch vielleicht ein hehrer Beweggrund, aber nicht so recht in das Genre heroischer oder auch nur abenteuerlicher Fantasy passend. Und von "Abenteurern" wird im Midgard 4 Regelwerk ja ständig geschrieben.
Das Grundproblem im Midgard-Kampfsystem ist die Annahme, daß, nur weil mich einer mit einem Stock mit einem Hammerkopf drauf hauen will, mich das Ausweichen mehr Anstrengung kostet, als wenn er mir nur mit dem Stock (also ohne Hammerkopf) eine überbraten will. Im Falle des erfolgreichen Abwehrens eines Stielhammer-Angriffs verliere ich nämlich mit 2W6 AP genau doppelt soviel AP bei erfolgreichem Ausweichen wie bei einem, ebenfalls erfolgreichen, Ausweichen gegen einen Kampfstab mit 1W6 AP. - Das ist völliger Unfug. In jeder Beziehung. Unverständlich. Nicht im geringsten selbst mit Wohlwollen plausibel zu machen. - Ein Stielhammer ist wesentlich LANGSAMER ob der Masse, als ein Kampfstab. Da bekommt man einen Brief per reitendem Boten, daß der Schlag nächste Woche eintreffen wird. Das Ausweichen ist eine eventuell anstrengende Aktion, aber eine, die UNABHÄNGIG von der Angriffswaffe und deren Schadenswürfeln, die es in der Spielweltrealität eh nicht gibt, ist.
Dieser Grundunfug im Kampfsystem, der bei einem erfolgreichen Angriff eines Gegners IMMER Schaden verursacht, rührt meines Erachtens aus einer Sichtweise her, die im alten Hitpoint-lastigen D&D/AD&D verhaftet ist. Dort hat man ja nach einem Treffer auch keine Möglichkeit mehr dem Schaden zu entgehen. Man steckt ein und hat - hoffentlich - genug Hitpoints, um das auszuhalten. - Auch hier gibt es neuerdings Dinge wie kritische Treffer, massiver Schaden etc. Aber im alten D&D, von welchem m.E. die meisten Fantasy-Rollenspiele die eine oder andere (oder ALLE!) Idee(n) geklaut haben, war das eben anders.
Nun wäre das AP-Verlieren nicht das Problem, wenn diese nach einer Rast von 5 Minuten zum Verschnaufen wieder voll da wären (so wie die Puste bei Deadlands oder die Fatigue-Points bei RuneQuest). Das ist hier aber nicht so. Die Regeneration von AP ist mit ABSICHT so langsam geregelt, daß man im Regelwerk angehalten wird, es den SCs im laufenden Abenteuer, im Dungeon, in den Katakomben schwer zu machen, eine längere, für AP-Regeneration ausreichende Rast einzulegen. 8 Stunden Rast mitten im Dungeon sollen ein Ding der Unmöglichkeit sein.
Warum das so ist? Na, die Spieler sollen ja eben nicht wie die unschlagbaren Helden herumlaufen, Schaden wegstecken, Zaubern wie die Weltmeister und dann mal schnell wieder "auftanken" können. Das wäre ja heroisch. Und Midgard ist NICHT heroisch in demselben Sinne, wie das bei DSA oder - noch viel mehr - bei D&D der Fall ist. Midgards "Machtniveau" der Charaktere ist absichtsvoll eher am unteren Rand der Fantasy angesiedelt worden, da die Autoren lieber eine sehr erdhistorisch geprägte, magiearme und sozialpädagogisch wertvolle Spielwelt und ein dies unterstreichendes Regelsystem wollten.
Vera hat geschrieben:Wenn ich schon beim Kampf bin, so muss ich auch diese Patzertabellen erwähnen auf die bei jeder im Kampf gefallenen 1 oder 20, also jedem 10. Wurf, gewürfelt wird.
Man soll ja ohne AP NICHT kämpfen! Der Zustand heißt Wehrlos! Wenn man dann was reingesemmelt bekommt, dann gibt es die Tabelle "Folgen schwerer Verletzungen", die einen SC für Wochen "Abenteuerunfähig" schreiben lassen - DIE Gelegenheit für die anderen ihre wochenlangen Lernzeiten einzulegen.
Die Wahrscheinlichkeit auf einem W20 eine 1 = Kritischer Fehler zu würfeln ist hier, anders als in W%-basierten Systemen wie RuneQuest (oder UA), immer bei 5% - unabhängig davon, wie kompetent der SC so ist. Ob ein Krieger Angriff +18 oder +4 hat, er hat bei jedem Angriff DIESELBE 5% Chance für einen Kritischen Fehler. - Das ist, in Anbetracht der ansonsten schon recht geringen Kompetenz der Charaktere, was Trefferchancen anbetrifft, und in Anbetracht der ohnehin schon hohen Verletzlichkeit (siehe unvermeidbare AP-Verluste) eine zusätzliche Härte, die nicht etwa realistischer ist (denn dann sollte die Wahrscheinlichkeit für gröbste Patzer mit steigender Kompetenz in der Fertigkeit sinken), sondern unnötig.
Da erinnere ich mich gerne an einen Kampf nach Midgard 2 Regeln gegen Piraten, wo unser Spielleiter einen Angriff eines unwichtigen 08/15-Piraten gegen unseren Krieger-Priester von Grad 5 auswürfelte: SL: *kuller* "Oh, eine natürliche 20! - Da kannst Du nur mit einer 20 auf Abwehr was dagegen setzen" Spieler: *auch kuller* "Mist. Zu wenig." SL: "Mal sehen, was der Kritische Treffer gibt..." *kuller* "100 - Was sagt denn die Tabelle?" - Unterbrechen wir hier: die Tabelle, die jedem, außer dem Spielleiter auswendig geläufig war, sagte dazu: "Tödlicher Treffer". Da haben wir als Spieler protestiert, weil es schlichtweg die Aufgabe des Spielleiters - gerade bei Midgard! - ist, die Würfelergebnisse so zu verbiegen, daß die Spieler auch ihren Spaß am Spiel haben, statt mitten in einer als Reise ohne Ersatzmöglichkeit von SCs angelegten Episode einer Kampagne den Charakter durch bloßes Würfel"glück" eines unwichtigen, namenlosen Statisten umgenietet zu bekommen. So etwas hat nicht nur nichts mit "Realismus" zu tun, sondern damit, daß man eigentlich spielt um mit seinen Freunden und deren Charakteren gemeinsam Spaß zu haben - vor allem, wenn man abenteuerliche Fantasy spielen will. Wer All Flesh Must Be Eaten Zombie-Splatter-Chaos-Horror spielt, der freundet sich gleich von Anfang an damit an, daß seinem SC das Hirn ausgeschlürft werden wird. Aber wer Midgard spielt - mit dem Herr der Ringe Flair, mit dem Midgard auch schon früher auftrat - der darf doch wohl ein wenig mehr Überlebensmöglichkeiten und damit Weiterspielmöglichkeiten für seinen langgespielten Charakter erwarten, als durch einen lapidaren 5%-Wurf eines Extras (wie man sie in Savage Worlds nennt) seinen Charakter abgeben zu dürfen.
Vera hat geschrieben:Diese Tabellen führten dazu das die SC's nach sehr kurzer Zeit alle mit einer oder mehreren schweren Verletzung wie gebrochenen Armen und/oder Beinen herumliefen.
...
Das ist mir für ein Fantasyrollenspiel zu viel Realismus!
Wie schon gesagt: mit Realismus hat das überhaupt nichts zu tun. Aber es ist auch aus der sonstigen Geisteshaltung von Midgard nicht verständlich, warum hier ein solches SPIELUNTERBRECHENDES Schadens-, Verwundungs-, Heilungs-System eingesetzt wird.
RuneQuest ist ein überhaupt nicht Realismus predigendes BRP-System. Hier kommt es bei Kämpfen OFT vor, daß Arme, Hände, Beine abgeschnitten werden. Aber RuneQuest auf der Welt Glorantha hat neben heftiger Kampfmagie auch heftige Heilungsmagie, so daß ein amputiertes Bein nach ein paar Kampfrunden von einem entsprechenden Heilzauber noch wieder "angeheilt" werden konnte. - Solange die Balance stimmt, zwischen heftiger Kampfaction und dem Wiederherstellen der Handlungsfähigkeit zumindest der wichtigen Charaktere, wie der SCs eben, solange kann man auch mit heftigen Kampffolgen leben, wenn sie nicht den weitern Verlauf der Handlung behindern und die Gruppe nicht zu einer "Versehrtensportgruppe" machen. Letzteres ist zumindest nicht meine Vorstellung von abenteuerlicher Fantasy, sondern eher von Reha-Gymnastik.
Ich habe vor dem Schreiben meiner Antworten auf diese Midgard-Diskussion meine alten Midgard-Regelbände (und die neuen, unbespielten) hergenommen. Da fiel mir aus dem Midgard 2 Band doch ein Zettel entgegen. Das war eine Art Abstimmungsergebnis über Hausregeln. Da wurde abgestimmt, die AP-Regeneration mit einer schneller erholenden Regelung abzulösen, da wurde abgestimmt die Heilung von AP durch Heilzauber abhängig von den Maximal-AP des Patienten zu machen, da wurde der AP-Verlust bei Paraden mit Schild auf 0AP, mit kleinem Schild auf 1AP, mit Buckler/Parierdolch auf 2AP und mit Waffenlosem Kampf auf 3 AP maximal begrenzt (übrigens - so ähnlich war es beim ganz alten Midgard 1 abgestuft), usw. Bis auf eine überkomplizierte Schlafregelung wurden damals alle angenommen, wie man aus den Strichlisten entnehmen konnte. - Somit sieht man, daß auch wir damals das Regelwerk in den uns unangenehmen, mit unserer Spielweise unvereinbaren Punkten geändert hatten. - Zumindest solange, bis wir zu RuneQuest gewechselt sind, wo es diese Punkte nicht mehr gab (natürlich gab es da andere
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).
Vera hat geschrieben:Einen weiteren Schwachpunkt des Systems ist, so finde ich, das keiner der Charaktere an seine Klasse gebunden ist. In diesem System kann jeder alles lernen, sofern er genügend Erfahrungspunkte und Gold hat. Demzufolge ist es besser von Anfang an einen Krieger zu spielen, Ausdauerpunkte zu sammeln um dann, wenn man einen höheren Grad erreicht hat, zu einem mächtigeren Magier zu mutieren als man es jemals hätte werden können, hätte man von Anfang einen Magier gespielt. Denn Krieger generieren bei Stufenanstiegen mehr Ausdauerpunkte als Magier, die letztere wiederum zum Zaubern benötigen.
Das mit dem Alles-Lernen-Können, war für uns damals der Grund von AD&D zu Midgard zu wechseln. Endlich keine so einschränkenden Klassen mehr! Juchu! - Wir hatten nur nicht geahnt, zu welcher Buchhaltungsorgie das führen würde. Die EP-Arten verwalten, die EWIGEN!!! LERNZEITEN, die ein kontinuierliches Kampagnenspiel schneller abtöten, als das murksige Kampfsystem, und dann die nicht nachvollziehbare Überlagerung von AP als Kampf-Ausdauer und als Magie-Punkte.
Wenn ein Zauberer sehr erfahren ist, dann sollte er auch viel zaubern können. Genau wie ein Krieger, der sich dann eben eine Weile länger kloppen kann, bevor er wehrlos ist. - Dummerweise greifen Zauber und Kampf auf denselben Pool an Punkten zu. Das ist besonders für Ordenskrieger und Kriegerpriester eine blöde Sache, da sie nur einmal getroffen werden brauchen, und schon können sie ihre schönen Zauber knicken, weil sie dafür keine AP mehr haben (nicht nur bei Grad 1 - da aber besonders fatal, da diese die Überlebenswahrscheinlichkeit von solchen Grad 1 SCs deutlich senkt). - Eine Lösung wären unabhängige Magiepunkte, wie man sie in vielen anderen Systemen kennt. So könnte der Zauberer immer noch im Nahkampf scheiße sein, aber wenigstens magiemäßig was reißen. - Das ist aber nicht so bei Midgard geregelt.
Ich fand das damals aber toll. Ein Midgard-Zauberer konnte aus seinen Zaubern ganz spontan auswählen, was er zaubern wollte. Bei AD&D mußte er sozusagen im Voraus schon alles auswählen und memorieren, was die Spontaneität des Zauberns deutlich reduzierte. Man wählte da die sicher anzuwendenden Sachen aus - was zu killen, was zum Schutz. Das wars. Die schönen, nicht-offensiven, aber nützlichen Zauber blieben doch fast immer auf der Strecke. - Bei Midgard war das was anderes. Die Zauber waren schwächer vom Effekt, aber man konnte mit etwas Überlegung die Zauber recht vielseitig einsetzen. Nur war man danach KO.
Was wir bei AD&D schon immer doof fanden: Rein in den Dungeon, einen Raum, zwei Räume, oh, keine Zauber mehr? , raus aus dem Dungeon, 8 Stunden schlafen, Memorieren der Zauber, wieder rein in den Dungeon. So oder mit Abwandlungen (z.B. wenn man keinen sicheren Zufluchtsort hatte), lief das ab. Es war eigentlich auch immer die Verantwortung des DungeonMasters, hier für die Gelegenheit sich zu Erholen zu sorgen, da sonst die Gruppe im Arsch gewesen wäre. Das gehörte zu einem FAIREN Szenario, zu einer fairen Chance dazu. - Bei Midgard war das ähnlich: Man kloppt sich, alles schläft 4 oder - falls der Spielleiter nicht zu gemein ist - auch 8 Stunden, dann geht's weiter, man zaubert, man wehrt erfolgreich ab, man ist wehrlos, - Nachtwachen - alles schläft 0,5 oder 4 oder 8 Stunden.
Das ist nicht nur ziemlich wenig abenteuerlich, wenn man die Zeit mitnotiert und man feststellt, daß die Gruppe von 14 Tagen in den Nebelbergen gerade mal 12 Stunden aktiv am "Abenteuern" war und den Rest mit Schlafen zugebracht hatte. So liest sich das in den Fantasy-Romanen aber nicht!
Vera hat geschrieben:Diese Regeln unterstützen das Ausspielen des Charakters und seiner Klasse leider ganz und gar nicht.
Das Wechseln bzw. Hinzulernen von Zauberfähigkeit durch Krieger haben wird in unserer am längsten laufenden Kampagne gehabt. Da war es so, daß die Krieger kaum noch etwas sinnvolles lernen konnten, um ihre GFP zu erhöhen, da alle ausreichend kompetent mit Waffen, Abwehr und sonstigen Fertigkeiten waren. Mein Nordlandbarbar hatte zwangsläufig lauter Scheiß wie Kampf vom Streitwagen oder Kanu Fahren gelernt, um noch ein paar EP in der Zeit, die die Zauberer der Gruppe mit dem Erlernen von Wissensfertigkeiten oder hochstufigen Zaubern verbraten haben, zu füllen. Dann haben fast alle Kämpfer der Gruppe einen magischen Hintergrund erlernt (mein Barbar nicht, den habe ich "in Rente" geschickt). Die Charaktere waren da im Grad 9 bis 10. Dann haben wir noch ein, oder zwei Abenteuer mit diesen gespielt, aber da sie zwischen dem einen Abenteuer und dem nächsten zweieinhalb Jahre zugebracht haben, um ihr Kurzschwert +irgendwas auf +irgendwas+1 zu erhöhen, war uns das dann wirklich zu blöde. Dieses Lernsystem zerschießt die Zeitlinie jeglicher Kampagne. Die Abhilfe sollte ja das Praxispunkte-System bringen, aber da waren wir dann schon bei RuneQuest und glücklich(er).
Vera hat geschrieben:Da frage ich mich, wo bleibt da das Rollenspiel?
Es ist immer noch ein Rollenspiel. Man kann damit Jahre hinweg Spaß haben. Aber nur, wenn der Spielleiter das Regelsystem nach dem Fantasy-Aspekt auslegt, den die Spieler spielen wollen.
Damals, als es neben AD&D kaum was regeltechnisch wesentlich anders aufgezogenes gab, da war Midgard für uns neu und eine Alternative. Heute hat sich an den grundlegenden Problemen und der grundsätzlichen Einstellung (oberlehrerhaftes Gängeln) der Autoren wenig bis nichts geändert. - Wer heute Midgard spielt, wo es doch eine Fülle an anderen, wesentlich weniger hakeligen und uncharmanten Fantasy-Rollenspielen gibt, der hat meist - wie viele hier ja schon geschrieben haben - einen besonderen Grund.
Die Probleme von Midgard werden auch im Midgard-Forum immer mal wieder von unbedarften Neulingen diskutiert, bis sie "belehrt" werden, daß es so viel besser ist und daß sie zu dumm für die "anspruchsvolle (tm)" Rollenspielweise von Midgard sind. Das Midgard-Forum ist eine sehr seltsame Gemeinschaft, die in ihrem Sprachgebrauch allein schon an Verwaltungsangestellte und Lehrer erinnert. Dort herrscht meinem Eindruck nach alles andere als Offenheit für einen frischen Wind, der Midgard auf den Stand der Zeit bringen könnte.
Ich möchte kein Rollenspiel TROTZDEM spielen, sondern nur WEGEN. Viele Meinungen hier und im Midgard-Forum kommen bei mir als ein Spielen TROTZ der bekannten Mängel an. Midgard hat gewiss auch Stärken. Die sollte man nicht unterschlagen. Die Regeln sind zwar trocken, aber gut abgefaßt, gut strukturiert und gut und übersichtlich präsentiert. Da Regelvolumen ist abschreckend hoch, aber andere Systeme kommen auch mit vielbändigen Regelsystemen daher, und die Midgard-Hardcover sind schlicht, benutzbar und keine irritierenden "Bilderbücher", sondern mit Lesezeichen und Indizes für das praktische Spiel (oder das Nachschlagen für Beiträge wie diesen hier) bestens ausgelegt. - Auch in die Welt Midgard ist ein wenig Bewegung gekommen. Für mich zu zaghaft, aber im Vergleich zu früher schon ein guter Anfang. Die "böse" Schwesterwelt Myrkgard ist sogar - meiner Meinung nach - deutlich interessanter (ist aber auch ein reines Fanprodukt), als das offizielle Midgard.
Ich würde Midgard nach keinem Regelsystem mehr spielen wollen, da ich inzwischen soviele andere Regelwerke im Fantasy-Sektor kennengelernt habe, daß ich sehr genau weiß, welche Art Fantasy ich spielen will, wieviel Buchhaltung ich als Spieler oder gar als Spielleiter noch treiben will, und wie hoch die Einstiegsschwelle für Neueinsteiger in das Regelwerk sein sollte. Da fällt Midgard leider heraus. Ich werde zwar ein paar der älteren Midgard-Abenteuer und auch die neuen Stadtbeschreibungen heranziehen, aber dort nur in meiner Interpretation von Midgard mit einem ganz anderen, deutlich heroischeren Rollenspielsystem ohne viel Buchhaltung für Spieler oder Spielleiter spielen. Midgard als Hintergrundwelt lebt für mich. Aber Midgard als Regelwerk ist ein Dinosaurier, der noch nicht gemerkt hat, daß er nur noch aus versteinerten Knochen besteht.
Schade, aber wohl bei der Einstellung der maßgeblichen Autoren von Midgard auch nicht so auf die Schnelle zu ändern. Somit wird Midgard weiter in die Nische rutschen, bis es kaum noch jemand kennt. Vor allem, wo jetzt eine ganze Reihe neuer deutschsprachiger Fantasy-Rollenspiele wie Arcane Codex (für sich genommen eine reine Anhäufung an schlecht geklautem Gedankengut anderer Rollenspiele), Mondragor (die "learning by doing"-Neu-Nichterfinder), und ein paar andere, die z.Zt. gerade im Namenswechsel befaßt sind, auf dem Markt sind. Diese sind in Regelsystem, Optik, Weltdarstellung im 21. Jahrhundert angekommen, und nicht in der Sozialkundestunde von 1981 in die Zeitschleife geraten.