Eine kleine Geschichte...

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DonJohnny
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Eine kleine Geschichte...

Beitrag von DonJohnny »

Hamburg 1988

„Ahh, Mister Cavendish, ich bin hocherfreut euch endlich einmal wieder zu treffen. Erinnert ihr euch an mich?“




„Ihr seid es. Ja, ich erinnere mich gut. Wir waren gemeinsam für den Primogen von Brügge tätig, bevor ich nach London aufbrach. Was für eine vergnügliche Zeit, aber es ist lange her. Nein, ich habe euch aber nicht vergessen, und ich schätze euch noch wie damals. Was für eine Freude. Ich hoffe es ist euch gut ergangen. Ich glaube ich hörte schon von eurem Eintreffen, ich konnte euren Namen nur nicht mehr zuordnen. Setzt euch, wir haben viel zu Bereden und viel Zeit, denn durch einen unglückseligen Vorfall bin ich leider dazu gezwungen die nächsten Nächte hier zu verbringen. Erzählt!“




„Nun, es ist so, dass ich derzeit für den Erstgeborenen unseres Clans in Lille arbeite. Ich weiß, ich bin meiner alten Aufgabe treu geblieben. Dieser Erstgeborene jedenfalls sucht im Moment nach einem jungen Kainiten aus unserem Clan der ihm ebenfalls zur Hand gehen kann. Ich hielt in der näheren Umgebung unserer Domäne Augen und Ohren offen, doch bedauerlicher Weise fand sich kein günstiger Anwärter für diesen Posten. Ich fürchtete schon unserem ehrenwerten Primogen eine schlechte Botschaft übergeben zu müssen, allerdings hörte ich davon, dass ihr euch in Brüssel aufhalten würdet. Und da ich euch gut kenne, eure Vorzüge zu schätzen weiß und mir sicher bin, dass auch eure Nachkommen eure Vorzüge nicht missen lassen würden beschloss ich euch in Brüssel aufzusuchen. Leider wart ihr zu diesem Zeitpunkt schon wieder abgereist und so verfolgte ich euch bis hierher. Ich bin glücklich euch nun hier gefunden zu haben. Ich habe meinem Primogen bereits Kunde gegeben, dass ich unter Umständen einen aussichtsreichen Kandidaten vorweisen könnte, er, und ich auch, wollen aber natürlich nicht die Katze im Sack kaufen. So wurde ich losgeschickt, alles über euer Child in Erfahrung zu bringen um dann zu entscheiden ob wir ihm ein Angebot machen können.“




„Es erfreut mich werter Gaston, dass ihr mich so hoch einschätzt. Wir haben Zeit, also fangen wir am Besten ganz vorne an. Nachdem ich aus Brügge abgereist war verschlug es mich nach London. Wart ihr schon einmal in London? Und ich meine nicht das London von heute. Zu dieser Zeit, ich glaube es war um das Jahr 1880 war London eine der schmutzigsten aber auch fortschrittlichsten und mächtigsten Städte Europas, wenn nicht gar der ganzen Welt. Der weniger prunkvolle aber dafür umso beeindruckende Glanz des Empires vermischte sich mit dem „Flair“ der Arbeitersiedlungen die in Armut und Kohlerauch erstickten. Ich hielt mich gerne in diesen Gegenden der Stadt auf. Man fand dort einfach zu leicht seine Beute.

Die Bedingungen die dort damals herrschten vermag man sich heute kaum noch vorzustellen. Am Himmel hing beständig dichter schwarzer Qualm der an kalten Tagen auch durch die Straßen zog und an allem einen dünnen grauschwarzen Rußfilm hinterließ. Man sah eigentlich nie die Sterne oder den Mond und die Sonne, so sagte man mir, war stets als gedämpfte Scheibe ohne Strahlen zu sehen. Die Arbeiter die durch die Straßen zu ihren Schichten schlurften bestanden auch noch zu dieser Zeit noch zu einem großen Teil aus Bauern, die ihre angestammte Heimat verlassen mussten um nun in diesem Pulk aus Armut in die Mühlen der Unternehmer zu geraten.

Was in diesen Tagen ebenfalls aufgefallen ist war die Gleichgültigkeit der Menschen untereinander. Jeder trottete an jedem vorbei ohne, dass man sich umeinander scherte. Oft ging ich auch durch die so genannten Cottages, den armen Arbeitervierteln die vor allem aus einstöckigen Ziegelbauten bestanden, mit abflusslosen Straßen auf denen sich stinkende, stehende Pfützen bildeten. Fast schlimmer war es noch in der Stadt. Dort, in den fünf- bis sechsstöckigen grauen, fast schwarzen Gebäuden, die nahtlos in einander übergingen tummelten sich Menschen zwischen Abfällen und Ungeziefer, dazwischen Markstände die faules, fast ungenießbares Gemüse anboten. Gebäude deren Schmutz und Baufälligkeit gar nicht mehr zu beschreiben waren bildeten ein unbehagliche, ekeleregendes, berstendes Labyrinth. Und in diesen Gebäuden in denen sich meist weder Türen noch ganze Fenster befanden wohnten meist 10, 12 Personen in einem kleinen Raum, schliefen dort, aßen dort, lebten dort. Dort wuchs er auf.

Sein Name war Henry Dunvin. Er war der jüngste Sohn einer Frau, die bis zum Tode ihres Mannes, der Vorarbeiter war, in einem für Arbeiterfamilien relativem Wohlstand lebte. Als ihr Mann jedoch dann verstarb versank die Familie im Elend. Die neun Personen hausten in einem widerlich schmutzigen Raum, ohne jede Möbel. Ich war ein-, zweimal dort, es war abscheulich. Es gab keine Betten, nur ein Haufen schmutztriefender Lumpen. Als auch noch die Mutter starb wussten sich die Kinder nicht mehr zu Helfen als einen englischen Edelmann zu überfallen der ihnen auf der Straße über den Weg lief und ihn auszurauben. Der Mann zog sich Verletzungen zu die sich entzündeten und er starb schließlich. Alle „Täter“ wurden von der Polizei erwischt und allesamt gehängt. Nur Henry, der Jüngste, der zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre alt war wurde nicht mitgenommen. So hauste er alleine in dem Loch bis man ihn rausschmiss. Auf der Straße kämpfte er die folgenden Jahre mit kleinen Diebstählen und Betteln ums Überleben was ihm einigermaßen gelang und bis auf einige kleinere Gefängnisaufenthalte schaffte er es ganz gut. Unter kam er in einem dieser Armenhäuser die einem nichts zu essen geben aber einen mit fünf anderen in einem Bett schlafen ließen.

Henry wurde aufgrund seiner traumatischen Erlebnisse zu einem ausgesprochenen Exzentriker. Die Armut und das Schicksal das er erlitt war sogar für damalige Verhältnisse extrem. Er war zum Teil sehr verstört, redete in einem seltsamen Tonfall und schaute häufig unwillkürlich weg wenn man sich mit ihm unterhielt. Viele Leute mieden ihn. Zu dieser Zeit war in eben jenen Straßen ein Kainit unterwegs der in der Domäne vor allem durch seine Vorliebe für den Verzehr von menschlichem Fleisch welches er mit dem Akt des Bluttrinkens verband auffiel. Im Primogensrat verhandelte man bereits über seine Vernichtung wegen Gefährdung der Maskerade.

Der Vampire, sein Name war Bertrand Fussiere, lockte seine Opfer mit der Aussicht auf eine warme Mahlzeit in eine von ihm angemietete Dachwohnung wo er die Menschen auf bestialische Weise tötete in dem er sie knebelte, so dass sie nicht schreien konnten und ihnen langsam, an nicht lebensnotwendigen Stellen das Fleisch vom Körper abbiss, das Blut aus den Bissen heraussaugte und so den ganzen Körper, Stück für Stück verschlang. Die Opfer wurden so buchstäblich bei lebendigem Leibe verspeist. Er fing stets mit den Füßen an, arbeitete sich die Beine hinauf, dann die Arme, das Gesäß und anschließend Teile des Gesichts. Die ganze Prozedur dauerte für gewöhnlich mehrere Stunden die das Opfer meist zu einem großen Teil bei vollem Bewusstsein erlebte.

Beinahe wäre auch Henry zu einem Opfer von ihm geworden. Ich hatte mich an diesem Abend mit ihm unterhalten. Seine seltsame Art faszinierte mich seit ich ihn kennen gelernt hatte. Nach dem Gespräch mit ihm zog ich los um Fussiere aufzulauern, da ich ihn den Maskeradebruchs überführen wollte. Leider war mir Henry gefolgt und wurde nun seinerseits von Fussiere in das Zimmer gelockt. Ich konnte ihm nicht mehr helfen, da bereits der Tag anfing zu dämmern und ich mir schleunigst ein Versteck suchen musste. Zum Glück galt dies auch für Fussiere, der dies jedoch erst bemerkte als er Henry bereits in sein Zimmer gelockt hatte. Er gab ihm einen Pfund, sagte ihm er solle am Abend wieder kommen und verschwand dann. Er entging gerade noch so dem Sonnenlicht, so erfuhr ich später.

Zu Henrys Unglück wartete an jenem besagten Abend jedoch nicht Fussiere sondern Scotland Yard auf ihn, die schon seit Monaten nach dem „Monster of St. Giles“ suchte. Der zuständige Beamte war zunehmend unter Druck geraten. Immer wieder waren angefressene Leichenteile in der Nähe des Gebäudes gefunden worden, zudem verschwanden öfters Leute. Erst jetzt war er auf die Idee gekommen sukzessive die einzelnen Häuser zu durchsuchen, die in der Nähe der Orte waren, an denen die meist jungen Männer und Frauen verschwanden. Am Nachmittag war man in die Dachkammer eingedrungen, fand einige Überreste von Fussiers letztem Mahl und beschloss dem Täter aufzulauern. So tappte Henry in die Falle die eigentlich nicht ihm galt. Obwohl alle Indizien gegen ihn sprachen, wurde er verurteilt. Die Bevölkerung suchte einen Täter, genauso wie die Stadtverwaltung, die Polizei und vor allem dieser unfähige Beamte von Scottland Yard. Da kam ihnen dieser exzentrische, etwas unheimliche arme Bursche gerade recht Er geriet immer mehr zur Zielscheibe der aufgebrachten Bevölkerung. Die Richter hielten diesem Volkszorn nicht stand. Er wurde nach einem öffentlichen Prozess zum Tode am Strang verurteilt.

Da ich es jedoch geschafft hatte den Prinzen von London darzulegen, dass Fussier für diesen ganzen Aufruhr verantwortlich war verbannte er ihn, gab mir 30 Pfund und erlaubte mir die Zeugung eines Kindes. Mit dem Geld konnte ich mir Zugang zu Henry erkaufen so wie ein paar ruhige und ungestörte Minuten in denen ich den Kuss vornahm. Zudem konnte ich die Vollstreckung des Urteils auf eine nächtliche Stunde vertagen und erwirken, dass Henrys Leichnam nicht verbrannt werden sollte. Ich muss Henry wie ein Messias vorgekommen sein. Als rettende Lösung vor einem Ende dass nur wenig schlechter zu sein schien als sein bisheriges Leben. Henry ergab sich seinem Schicksal. Er hatte nur Dunkelheit, Dreck und Elend gekannt für ihn würde es ein Leichtes sein die Ewigkeit in der Nacht zu verbringen, so meinte er damals, wenn er nur nicht mehr Hungern und dahinvegetieren musste.

Wir verließen London in den ersten Nächten nach seiner Erschaffung, sein Gesicht war einfach zu bekannt geworden. Wir gingen zu erst nach Dublin. Meine Güte, diese Stadt war um ein vielfaches ärmer und elendiger als London. Aber mit etwas Geld in der Tasche konnte man es dort aushalten. Ich erledigte in dieser Zeit oft Aufträge für einen Ventrue der im Kolonialwarengeschäft tätig war, so konnte ich unsere Unterkunft und meine Studien finanzieren. In dieser Zeit lernte ich Henry gut kennen. Er war meist sehr vorsichtig und wirkte immer irgendwie eingeschüchtert. Wahrscheinlich rührte es aus seiner Rolle als jüngster Sprössling der Familie.

Er entwickele in Dublin eine ausgesprochene Sammelleidenschaft. Es war nicht so, dass er wertvolle Dinge sammelte, aber immer sehr spezielle. Das Ziel dieses Sammeldranges wechselte ab und zu. Es schien als beendete er manchmal eine Sammlung aus unerfindlichen Gründen. So sammelte er eine Zeit lang Nägel. Er ging meist nach dem Jagen auf die Suche nach den Gegenständen seines Verlangens. Er brachte meist eine große handvoll unterschiedlicher Nägel mit nach Hause, dann katalogisierte sie und verpackte sie einzeln in Papier. Anschließend packte er sie in eine große Kiste. Nachdem er aus unerfindlichen Gründen eine Sammlung beendet hatte, dauerte es meist eine Weile bis er anfing etwas Neues zu sammeln. Inzwischen ist diese Sammelleidenschaft etwas abgeflaut, es kommt seltener vor und er geht auch meist nicht mehr ganz so akribisch vor, sie ist aber immer noch erkennbar.

Ein etwas dämlicher Ventrue, zumindest hielt ich ihn dafür, hielt es einmal für amüsant im einige Schnürsenkel wegzunehmen die er gerade sammelte. Henry rächte sich an ihm in dem er eine Diebesbande damit beauftragte das Haus des Ventrues komplett bis auf den letzten Gegenstand auszurauben was ihnen auch gelang. Die Wachguhle setzte Henry mit seinen relativ weit entwickelten Blutkräften außer Gefecht. Das war allerdings das einzige mal, dass ich ihn dieser Zeit wirklich offensiv erlebt habe. Meist verhielt er sich zurückhaltend und fristete sein Dasein eher zurückgezogen. Er trank eigentlich immer von sehr armen Leuten denen er stets einige Pence da lies wenn er fertig war.

Bei Henry entwickelten oder offenbarten sich in dieser Zeit noch einige weitere interessante Eigenschaften. Er pflegt immer nur sehr oberflächliche Kontakte zu Frauen. Er geht allgemein eher ungern geschäftliche oder strategische Beziehungen ein, wenn, dann aber immer mit Männern. Ich glaube er hat den Tod seiner Mutter in sofern nicht verkraftete, dass er unterbewusst mit Frauen das allein und im Stich gelassen zu werden assoziiert. Außerdem redet er immer in einem etwas seltsam anmutendem Tonfall und er meidet größere Ansammlungen von Personen. Er braucht immer Platz um sich herum. Er ist zwar Armen gegenüber relativ großzügig, hortet aber ansonsten alles was er findet und an was er gelangt wenn er denkt es ist für ihn von Wert oder von Nutzem. Er ist aber kein Horter von Unrat. Seine Zufluchten sind meist sogar extrem sauber und relativ leer. Seine Gegenstände verwart er meist außerhalb seiner Wohnungen in Verstecken.

In Dublin blieben wir glaube ich etwa 30 Jahre. Bis die irischen Unabhängikeitsbestrebungen meinen Auftraggebern das Geschäft vermieste und mir einen Aufenthalt, na ja, sagen wir unangenehm machten. Wir gingen wiederum nach London. Henry war natürlich bereits seit längerem freigesprochen, er hielt es aber für eine gute Idee mir noch weiter zu folgen und ich hatte nichts dagegen. Zurück in London trafen wir wieder auf Fussiere. In der Aufgebrachtheit die der erste Weltkrieg in die Stadt gebracht hatte, hatte er es geschafft sich wieder seiner der, im wahrsten Sinne des Wortes, fleischlichen Lust hinzugeben.

Henry ging ein linkes Geschäft mit einem Setiten ein (vor dem ich ihm mehrfach gewarnt hatte) um ihn los zu werden. Fussiere macht sich nämlich einen Spaß darauf Henry Angst zu machen und ihm zuzusetzen. Außerdem hatte es Henry nie verkraftet, dass er wegen ihm im Gefängnis gelandet war und darum beinahe sein Ende gefunden hätte. Henry verkaufte dem Setiten beinahe seine Seele. Das einzige was ihn schlussendlich davor bewahrte ganz in die Hände dieses verteufelten Clans zu fallen war, dass Fussiere merkte, dass man etwas mit ihm vorhatte und sich präventiv an dem Setiten rächte, in dem er ihn vernichtete. Es muss ein harter Kampf gewesen sein, denn Fussiere unterschätze seinen Gegner und er gewann nur knapp. Es war, soweit ich weiß das letzte mal, dass Fussiere so unvorsichtig vorging. Da der Setit aber vom Prinzen das Gastrecht erhalten hatte (Fussiere wusste nichts davon) rief man die Blutjagd auf ihn aus und er musste wieder einmal aus London verschwinden.

Ich glaube er weiß immer noch nicht, dass es Henry war, der sich an ihm rächen wollte und ich hoffe er wird es auch nicht herausfinden. Ich weiß nicht was letztlich aus ihm geworden ist ich glaube entweder treibt er sein Unwesen in irgend einer europäischen Stadt oder er wurde doch vernichtet. Als der erste Weltkrieg zu Ende war, reisten wir nach Warschau wo sich Henry sehr für Geschichte interessierte. Er erweiterte auch seine Fähigkeiten als er einige Monate bei einem Ahnen unseres Clans zubrachte der Gefallen an Henry gefunden hatte.

Es war eigentlich eine schöne Zeit in Warschau. Zu schade, dass sie so abrupt enden musste. Nachdem der Zweite Weltkrieg begonnen hatte war man in dieser Region nicht mehr sicher und das ahnten wir. So flüchteten wir über Budapest nach Triest von wo wir uns nach Lissabon bringen ließen, da wir uns dort die besten Chancen ausrechneten diesen Krieg unbeschadet zu überstehen. So war es dann auch. Wir verbrachten eine relativ ruhige Zeit dort und beschäftigten uns meist mit uns selbst. Wir führten viele tiefgründige Gespräche mit einer Gruppe von Malkavianerancillae mit denen wir teilweise heute noch Briefkontakt pflegen.

Als der Krieg vorbei war wollten wir uns zuerst wieder nach England aufmachen, allerdings waren die englischen Städte aufgrund des Krieges mit Vampiren total überbevölkert und so zogen wir erst Mitte der Fünfziger Jahre los, Portugal zu verlassen. Wir reisten durch mehrere nordfranzösische Städte. Henry wurde immer paranoider. Ich weiß nicht ob etwas dran war, aber er glaubte, dass dieser Fussiere einen persönlichen Hass auf ihn hätte und ihn verfolgen würde. Jedenfalls suchte er in jeder Domäne in die er kam nach Spuren und Anzeichen von ihm so wie nach Verbündeten die ihm im Falle eines Falles beistehen würden, meist aus den Reihen der Nosferatu, zu denen er im Allgemeinen eine recht große Affinität, wenn auch keine besondere Beziehungen gehabt hatte. Aufgrund des Millieus aus dem er stammte fühlte er sich diesem „Unterschichtenclan“ wohl weniger abgeneigt als Kainiten anderer Clans.

A propos Abneigung. Ich hatte ja erzählt, dass dieser Scottland Yard Beamte Henrys Hinrichtung forciert hatte. Wenn es Gruppen von Kainiten gab die Henry wirklich abstoßend fand, dann waren es die Sheriffe und Geißeln der Domänen, in denen wir uns befanden. Die Grausamkeit der Geißeln erinnerte ihn an Fussiere, das Verhalten der Sherrifs an seine menschlichen Häscher bei seiner Verhaftung und Verurteilung. Nicht verwunderlich wenn man bedenkt was ihm alles widerfahren ist. Nun, jedenfalls besaß er Talent immer einige Nosferatu und Brujah um sich zu scharen die ihm eine gewisse Loyalität schuldig waren um ihm im Falle eines Angriffs von Seiten Fussieres zur Seite stehen würden.

Viel mehr kann man eigentlich nicht sagen. Wir hielten uns jetzt seit 1965 in Bremen auf, verstanden uns aber irgendwann mit dem Prinzen nicht mehr so recht und ziehen seitdem etwas ziellos durch Nordwestdeutschland auf der Suche nach einer Bleibe. Und letzte Woche waren wir eben in Brüssel unterwegs, sind aber auch dort nicht fündig geworden. Als nächstes hatten wir vor uns ein wenig in den kleineren Domänen Süddeutschlands umzusehen, die Sekte soll ja dort relativ fragmentiert sein. Das würde glaube ich Henrys leichtem Hang nach dem nicht gefunden werden entsprechen. Aber vielleicht habt ihr ja andere Pläne mit ihm?“




„Ja doch, ich denke er entspricht genau meinen Vorstellungen, ich würde mich in einiger Zeit noch einmal bei euch melden. Besprecht das doch bitte noch mit eurem Zögling. Ich und unser Clan würden uns freuen wenn er uns zu Diensten sein könnte.“


~~~



Hannover, 23. September 1999

Geschätzter Henry,

erst einmal möchte ich dir mitteilen, dass ich unendlich froh bin, dass es Dir einigermaßen gut geht. Ich hatte mir schon seit längerem Sorgen gemacht, da du Dich nicht mehr gemeldet hattest. Dein Brief dann hat mich sehr schockiert. Zudem fürchte ich, dass ich an Deiner Situation nicht ganz unschuldig bin, bitte gib mir die Gelegenheit mich zu erklären.

Deine Position als Helfer des Primogens unseres Clanes in Lille hast du über einen alten Bekannten erhalten der sich Ende der achtziger Jahre mit mir in Hamburg traf. Es hätte mich stutzig werden lassen sollen, dass er unbedingt Dich für eine Position wollte, für die du fürwahr nicht geschaffen bist. Es hätte mich ebenfalls stutzig werden lassen sollen, dass ich ihm deine ganze Lebens- und Unlebensgeschichte ausgebreitet habe. Aber nachdem was Du mir geschrieben hast, glaube ich rekonstruieren zu können, was passiert ist.

Ich meine Fussiere war uns schon seit längerem auf den Fersen. Ich weiß nicht warum, aber er hat einen Narren an dir gefressen. Ich vermute er findet deine Sorte von Leuten irgendwie, nun, ich weiß nicht wie ich es beschreiben soll. Er liebt es Leute wie Dich als Opfer zu haben. Und eben dich ganz besonders. Er muss noch andere Dinge (von denen ich lieber nichts wissen will) nebenher ausgeheckt haben, sonst hätte er uns wohl schon früher besucht.

Er war schon immer sehr bewandert in der Kunst des Verdunkelns und hat wohl die Fähigkeit erlernt sich als jemand auszugeben den das Opfer kennt und instinktiv vertraut. So ein Teufel. Mein Geist wahr wohl zu schwach um dieser Kraft zu wiederstehen. Er hat bei mir einfach alles über Dich erfahren, was es zu erfahren gab. Du hattest Recht. Er ist hinter Dir her, er ist böse und er ist ein Sadist.

Es tut mir unendlich Leid, dass ich dir die ganzen Jahre über nicht geglaubt habe. Er hat Dich jedenfalls über mich nach Lille gelockt und dich irgendwie in das politische System der Domäne eingebaut. Und das nur, damit er seine widerwärtigen Verbrechen an den Menschen der Stadt und an den Kainiten der Domäne begehen konnte, um es Dir an genau dem Zeitpunkt, an dem du dich in Sicherheit wägtest, in die Schuhe zu schieben.

Es muss für Dich schrecklich gewesen sein das alles nach den ganzen Jahren noch einmal zu durchleben. Fussiere hat mich überlistet, er ist gerissen und mächtig, aber ich fühle mich dennoch schuldig. Ich kann Dir gar nicht sagen wie froh ich bin, dass du es geschafft hast, rechtzeitig zu entkommen. Ich bin froh dass Dir diese Kainiten denen du die ganzen Gefallen getan hast am Ende wirklich loyal zu dir waren.

Ich kann dir im Moment leider nicht helfen, ich habe selber einige Probleme die ich Dir an dieser Stelle aber nicht schildern will, ich verspreche Dir aber dies nachzuholen, sobald ich kann. Wir hatten vor, nach Süddeutschland zu gehen, erinnerst Du dich? Ich habe ein paar Bekannte in Reutlingen, sie werden dafür sorgen, dass du in die Domäne aufgenommen wirst, ohne dass jemand Nachforschungen anstellt. Ich kann Dir nur empfehlen Dich dorthin zu begeben, solange zu bleiben wie Du Dich dort sicher fühlst und dann wieder zu verschwinden. Es erscheint mir sinnvoll alle paar Jahre die Domäne zu wechseln. Ich verspreche Dir ich werde Dich aufsuchen sobald ich kann.

Dein William
"Und ich vermache meinen 1972er Gran Torino in Freundschaft an Thao Vang Lor. "
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