
Probieren geht über studieren. Vielleicht kommen ja auch mal meine Bilder hierher und stellen sich allgemeiner Kritik, aber dafür brauch ich noch wesentlich mehr Mut. Bitte nicht auslachen, ich bin noch Anfänger was das Schreiben angeht und nun viel Spass.
Gefiederpflege
Miriel, Raphaelitin (genaugenommen noch kein vollwertiger Engel sondern Postulant), 9 Jahre alt vom Aussehen her und nur 1,15 m gross sass am Rand der Flugplattform in ihrem Heimathimmel in Gratianopel und liess die Füsse baumeln. Es war einer der wirklich seltenen schönen Tage, die Sonne schaute zwischen den Wolken hervor und sie nutze ihre freie Zeit um die wärmenden Strahlen zu geniessen.
Ihr Haar war in Raphaelitentradition streng zu einem Knoten gebunden, aber da es eine etwas ungünstige Länge hatte stand es hinten immer etwas vor oder Strähnen lösten sich. Miriels Haare waren schlohweiss doch im Schein der Sonne von silbrigen Strähnen durchzogen. Ihre Haut war ebenso blass und die Augen von einem so hellen, klaren Gletscherblau das man eher meinte einem Geist gegenüberzustehen, als einem Engel.
Miriel war kein herausragender oder besonders vielversprechender kleiner Engel, aber sie war wahrscheinlich die liebste und umgänglichste Raphaelitin ihres Jahrgangs. Auch wenn ihre Heilkünste nicht so perfekt waren wie die von Jamael, dem Jahrgangsbesten und sie nicht so schlau war wie Kurael, die fast alle Medikamentenrezepte auswendig kannte, so war sie doch beliebt wegen ihres sanften Wesens.
Miriel vermochte es wie kein anderer Menschen, die verletzt oder krank den Weg zum Raphaelitenhimmel kamen, allein durch Worte zu beruhigen. Ihre sanfte Stimme und die beruhigenden Worte die sie immer fand schienen eine fast zauberhafte Wirkung zu haben. Es gab nur eine Sache die sie wahrscheinlich besser beherrschte als jeder andere Engel hier. Latein. Schon als sie hierher auf die Erde kam musste sie sich über das, manchmal doch recht dürftige, Latein der anderen Engel wundern. Doch Miriel ging damit nicht hausieren, warum denn auch?
Im Moment war sie jedoch mit etwas völlig anderem beschäftigt: Gefiederpflege.
Miriel pflegte ihre schneeweissen Flügel mit Hingabe. Sie liebte das Fliegen und achtete immer darauf das ihre Flügel in gutem Zustand waren. In diesem Himmel waren viele Freiheiten gegeben, aber dennoch fühlte sich Miriel oft eingeschränkt und eingesperrt. Das Fliegen half dagegen, es gab ihr ein Gefühl der Freiheit.
Darum übte sie so oft es ging und trainierte ihre Flugmuskulatur. Für einen Raphaeliten hatte sie erstaunlich kräftige Flügel und viel Ausdauer.
Der Grund für ihr beklemmendes Gefühl mochte ihre unbändige Neugier sein, doch mit der Zeit entdeckte Miriel immer mehr um diese zu befriedigen. Sie fand ständig neue Dinge die sie fesselten.
Die Ikonen, kleine Bildchen die als Schriftersatz dienten und mit denen die Raphaeliten ihre Arzneirezepte festhielten, entdeckte sie als erstes.
Zwar war sie nicht so sehr daran interessiert die Medikamente zusammenzumischen, aber diese Art und Weise Wissen festzuhalten faszinierte sie. So verbrachte sie viel Zeit in der Bibliothek und lernte die Ikonen zu lesen und ein wenig übte sie auch sie selber zu zeichnen.
Auf einer ihrer Entdeckungsreisen durch den Himmel lernte sie die „Gebeugten“ kennen. Diese Leute arbeiteten mit verbotener Technologie, erforschten sie und mussten sich dafür ständig strafen. Miriel hatte Mitleid mit ihnen, aber sie bewunderte auch den Mut sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen.
Und dann waren da noch die Spirer, die kleinste Gruppe der Ärzte im Himmel. Sie beschäftigten sich mit der menschlichen Psyche und den Krankheiten des Geistes. Miriel hatte sich diese Art der Medizin als Fachgebiet erkoren. Sie hatte ja kein besonderes Interesse an der Medikamentenherstellung und auch das chirurgische Fachgebiet begeisterte sie nicht übermässig.
Doch wie der menschliche Geist funktionierte, das war ein Thema das sie gefangennahm und das sie nun schon länger begeistert verfolgte. Meist wurde dort ja kaum mit Medizin an sich gearbeitet sondern mit Worten und dadurch schien Miriel ja gerade prädestiniert dazu. Und nur mit Worten einen scheinbar völlig verlorenen Menschen zu heilen, das machte für sie den Zauber aus.
Viele andere Engel schüttelten über Miriel den Kopf, denn ihnen schien ihr Stundeplan völlig überfüllt. Warum beschäftigte sie sich denn mit Ikonen wenn sie doch am Zubereiten von Arzneien kein grösseres Interesse besass und nur die einfacheren Medikamente benötigte.
Und trotz ihrem Desinteresse an chirurgischen Arbeiten lernte sie eifrig Wunden zu nähen und per Hand zu verarzten. Zusätzlich kam dann noch ihr Fachgebiet, die Psychologie, und wenn man sie fragte dann zuckte Miriel nur mit den schmalen Schultern uns sah mit ihren klaren, blauen Augen zu einem auf.
„Ich weiss doch nie wann ich es brauchen kann und nur auf meine Kräfte sollte ich mich nicht verlassen, nicht wahr?“
Ausserdem hatte sie immer einen Blick auf die politischen Ereignisse, einfach aus Neugier. Sie war, wie gesagt, nicht übertalentiert und vielversprechend, aber alles was sie anpackte das machte sie gründlich und solide.
Nun sass sie also in der Sonne und summte leise vor sich hin, während sie jeden Flügel aufmerksam untersuchte. Miriel sang gerne, aber meistens nur wenn sie allein war. Ihre Stimme war schön, aber sie war einfach zu schüchtern in der Hinsicht.
Geruhsam suchte sie in ihrer Umhängetasche nach einer kleinen Bürste mit sehr weichen Borsten. Mit dieser fuhr sie nach der Untersuchung ihrer Flügel über die Federn, um die Lücken zu schliessen die sich zwischen den einzelnen Federästchen auftaten. So bildeten die Federn wieder eine feste Einheit und solche die nicht mehr fest waren wurden ausgebürstet.
Einige ihrer Mitengel fanden auch Miriels „Federfimmel“, wie sie sich ausdrückten, verwunderlich. Doch auch dafür hatte sie nur noch ein Schulterzucken übrig. Sie konnte ihren Brüdern und Schwestern einfach nicht begreiflich machen warum sie sich eingeengt fühlte und was das Fliegen für ein wundervolles Gefühl sei. Nach unzähligen ergebnislosen Versuchen hatte sie es also inzwischen aufgegeben.
Nachdem nun jeder Flügel einer strengen Kontrolle und gründlicher Pflege unterzogen worden war packte sie die Bürste wieder weg und rückte ihre Tragetasche zurecht. Diese trug sie immer mit sich herum denn sie enthielt nicht nur ihre Bürste sondern auch Verbandszeug, ein Skalpell in weiches Leder eingewickelt, einige Tiegelchen mit Salbe und Desinfektionsmittel, Schmerztabletten, Nadel und Faden sowie einige Ikonenrezepte und Zutaten dazu, für den Notfall. Ausserdem noch die notwendigen Dinge um unterwegs aus den Zutaten auch Medikamente herzustellen. Seltsam sah das kleine Engelchen mit dem zarten Körper aus das solch eine Last mit sich schleppte ohne mit der Wimper zu zucken.
Doch diese Tragetasche beeinträchtigte ihre Flug- und Lauffähigkeiten schon lange nicht mehr. Sie war daran gewachsen, wie Miriel sich auszudrücken pflegte.
Sie stand auf und wandte sich wieder den Gebäuden zu. Eine der grösseren Federn war ihr ausgegangen und noch nicht weggeweht worden. Da bückte sie sich und hob sie auf um die Feder auch noch in ihre Tasche zu stecken. Im Moment hatte sie Zeit zur eigenen Verfügung und sie beschloss in den Krankenhäusern vorbeizuschauen, wo Hilfe immer willkommen war. Da sie noch einiges an ihren Mächten tun musste schien es ihr angebracht und ausserdem mochte sie es den Menschen zu helfen.
‚Ja, üben muss ich wirklich,’ dachte sie lächelnd. ‚Nicht das mir meine Patienten wieder vom Tisch springen.’
Immernoch lächelnd schüttelte sie leicht den Kopf in Erinnerung an ihre Prüfung im Heilen wo ihr Patient, ein kleines Kaninchen, fast vom Tisch gesprungen wäre da sie zu langsam gewesen war.
Als sie schliesslich ankam wurde Miriels Hilfe dankend angenommen, da ein Unglück passiert war und etliche Verletzte hertransportiert wurden. Es hatte scheinbar einen Erdrutsch gegeben. Miriel begann durch die Reihen zu wandern und wandte sich schliesslich einem kleinen Mädchen von vielleicht 4 Jahren zu, das weinend in seinem Bettchen sass. Die Mutter hockte daneben und redete beruhigend auf es ein doch als sie Miriel sah, sprang sie zur Seite als hätte sie sich verbrannt.
Verwundert neigte Miriel den Kopf und schaute aus ihren blauen Augen fragend in die der Mutter.
Ein bisschen übertrieb die Frau, fand Miriel, sie würde doch nicht beissen.
Das kleine Mädchen hatte aufgehört zu weinen und schien über Miriels Anblick den Schmerz in ihrem Arm, den sie sich bis eben noch gehalten hatte, völlig zu vergessen. Ihre Augen waren weit geöffnet, als wollte sie alles auf einmal sehen.
„Oh bist du schön,“ kommentierte die Kleine.
Der kleine Engel kniete sich nun neben das Bett und lächelte.
„Wie heisst denn du,“ fragte sie und legte vorsichtig eine Hand auf die Brust des Mädchens um zu prüfen was los war und möglichst den Schmerz erst mal fortzunehmen. Aha, das Handgelenk...angebrochen...aber das sollte selbst für sie nicht allzu schwierig werden, denn Kinderknochen waren weich und biegsam.
„Kari,“ nuschelte das Mädchen, denn es verfolgte gespannt was Miriel da tat und sprach unter einer langen, schwarzen Haarmähne hervor die ihr übers Gesicht hing.
„Ok Kari, du musst jetzt ganz brav sein und still halten, damit ich dir nicht weh tue, ja?“
Kari nickte zaghaft um auch zu zeigen das sie äusserst brav war und verfolgte weiter was Miriel tat.
Sanft legte sie eine ihrer Hände auf das kleine Händchen Karis und konzentrierte sich. Als sie fertig war bestaunte Kari die heile Hand und klatschte begeistert, dann fiel sie Miriel um den Hals. Vom Kopfende des Bettes kam ein Zischen. Die Mutter sah aus als wäre sie einer Ohnmacht nahe.
„Kari,du meine Güte nicht doch!“
Miriel wandte das Gesicht ab und kicherte. Dann setzte sie das Mädchen auf den Boden ab.
„Mach mal so,“ verlangte sie und bewegte ihre Hand am Gelenk auf und ab.
„So,“ erwiderte die Kleine und machte es nach.
Alles bestens, dachte Miriel und nickte.
Kari wandte sich ab und tapste zu ihrer Mutter um die gesunde Hand vorzuführen. Diese nahm ihre Tochter gleich auf den Arm, doch kaum war Kari oben zappelte sie schon und wollte wieder runter. Sie kam zurück zu Miriel und ergriff ihren rechten Flügel, wie sie auch nach ihrer Hand greifen würde. Nun kam ein spitzer Schrei von ihrer Mutter und Miriel war sich fast sicher das sie jetzt in Ohnmacht gefallen war. Sie mochte Menschen, vor allem Kinder, aber manchmal waren sie doch recht komisch. Als ob es etwas schlimmes wäre ihren Flügel zu berühren und vor allem war Kari doch noch ein Kind. Nun, von der anderen Seite aus gesehen kannte Miriel aber auch Engel die sehr böse werden würden.
„Vielen lieben Dank,“ sagte die Kleine mühevoll um alles klar und deutlich hervorzubringen.
„Gern geschehen Kari, das ist aber sehr höflich von dir,“ lächelte Miriel und strich ihr über den Wuschelkopf.
„Mami sagt man muss immer nett und höflich sein,“ erklärte Kari weise. Miriel freute sich über die Wärme des Mädchens und ihr kam eine Idee.
„Weil du so tapfer und lieb gewesen warst schenke ich dir was.“
Mit diesen Worten öffnete sie ihre Tasche und zog die Feder hervor die sie mitgenommen hatte. Diese überreichte sie Kari.
„Pass immer gut darauf auf,“ sagte sie. Kari nickte und fuhr mit den Fingerchen immer wieder über die weisse Feder.
Jetzt wagte sich auch ihre Mutter näher und stammelte Entschuldigungen im gleichen Atemzug wie einen Dank. Doch Miriel winkte ab.
„Wozu denn entschuldigen, sie ist so ein liebes Mädchen.“ Miriel schaute ihr freundlich in die Augen. Karis Mutter verneigte sich und nahm ihr Kind bei der Hand. Kari hatte sich die Feder hinter eines ihrer Ohren geklemmt und winkte zum Abschied.
Als sie gegangen waren ging Miriel weiter durch die Reihen und heilte, wo ihre Mächte ausreichten oder sprach den Menschen einfach gut zu. Zwar war sie noch klein und nicht wirklich imstande sehr viele Menschen in kurzem Zeitraum zu heilen, aber durch ihre Ruhe und ihre sanften Worte beruhigte sie die Kranken und gab ihnen Zuversicht.
Nach ein paar Stunden hatten ihre Kräfte schon sehr arg nachgelassen und Miriel fühlte sich erschöpft. Also verabschiedete sie sich und machte sich auf den Weg in ihre Zelle um zu meditieren und wieder zu Kräften zu gelangen.
Es war nicht mehr viel Zeit bis zu ihrer Weihe und sie fragte sich des öfteren wie wohl die anderen Engel sein würden, die mit ihr eine Schar bilden werden. Würde ihr Michaelit nett sein oder ein strenger, kalter Anführer? Und wussten Ramieliten denn wirklich so viel? Solche und ähnliche Fragen gingen ihr durch den Kopf und ihre Neugier liess ihr damit, wie immer, keine Ruhe.
Vor Gabrieliten fürchtete sie sich etwas, denn sie hatte gehört das diese gnadenlosen Kämpfer Raphaeliten fast grundsätzlich für Schwächlinge hielten. Ausserdem töteten sie ohne mit der Wimper zu zucken. Das machte Miriel in Hinblick auf Traumsaat nicht wirklich viel aus, aber es blieb ja nicht bei diesen Dämonen sondern auch Menschen fielen ihren Schwertern zum Opfer. Der kleinen Miriel war jedoch alles von Gott gegebene Leben heilig und sie wusste nicht wie sie damit umgehen würde, wenn sie das erste Mal einen Kampf mit Menschen miterleben müsste. Miriel heilte jeden der ihre Hilfe brauchte, denn sie vertrat die Ansicht das sie ihre Mächte nicht erhalten hatte um sie den Verletzten vorzuenthalten. Selbst einen Ketzer würde sie heilen, denn wenn sie zugegen war so musste es doch Gottes Wille sein das er überlebte. Und wenn sie das auch nicht verstand, sagten die Menschen nicht selber immer: Die Wege des Herrn sind unergründlich.
Aber wer wusste schon was sein würde. Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Miriel beschloss sich einfach überraschen zu lassen und sich weiter auf ihren grossen Tag zu freuen. Und natürlich noch möglichst viel zu lernen bis es soweit wäre.