Wahlen und Zahlen

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DonJohnny
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

17.12.19

Once again, it's Biden time!


Jetzt, nach einigen Dabatten, Bewegungen in den Umfragen in die eine oder andere Richtung, kristallisiert sich langsam Joe Biden als sehr wahrscheinlicher Kandidat heraus. So wahrscheinlich dass ich mich jetzt mal weit aus dem Fenster lehne uns sage: er wird es.

Seine Umfragewerte sind sehr, sehr konstant, zwischen 25 und 30%. Seine beiden Hauptkonkurrenten sind Elizabeth Warren und Bernie Sanders. Sanders ist genauso stabil wie Biden, nur knappe 10% unterhalb und so wie es aussieht, ist der Aufstieg von Warren schon wieder beendet, sie ist auf das Niveau von Sanders heruntergefallen, nachdem sie eine Zeit lang an Biden dran war. Wäre sie komplett abgestürzt, hätte Sanders eine Chance gehabt, aber sie ist noch stark genug, (und wird das wahrscheinlich auch bleiben) um mit Sanders um den linken (linkspopulistischen) Teil der Stimmen zu konkurrieren, was letzten Endes heißt, dass sie sich gegenseitig die Stimmen wegnehmen werden. Biden wird dadurch als lachender Dritter aus dem Rennen gehen.

Die einzig ernsthafte Konkurrenz aus dem gemäßigtem Lager heißt Pete Buttigieg, der sämtliche Erwartungen weit übertroffen hat, aber der es nicht schafft, zum vorderen Feld aufzuholen. Außerdem hat er es nie hinbekommen, Biden ernsthaft Stimmen wegzunehmen, er hat sie bei den anderen gemäßigten Kandidaten geholt, vielleicht gegen Ende auch einen Teil von Warrens Zustimmung eingeheimst (vielleicht größtenteils junge Wähler, die eher nach Personen und weniger nach Ideologie schauen).

Was auch sehr wichtig ist, es scheint als würde er die Kontroversen um die Ukrainegeschäfte seines Sohns im Rahmen des derzeit laufenden Impeachmentprozesses unbeschadet überstehen. Biden muss nur noch vier mögliche Szenarien verhindern:

- Warren schmeißt hin und unterstützt Sanders. Dann könnte Sanders genug Zustimmung bekommen um mit Biden gleichzuziehen. Das heißt Biden sollte sich in den anstehenden Debatten darauf konzentrieren Sanders und Buttigieg zu attackieren und Warren in Ruhe lassen. Wenn er ganz gerissen ist lobt er sie das eine oder andere mal sogar.
- Ein Dark Horse kommt um die Ecke. Das wäre der noch nicht abzusehende krasse Aufstieg von Buttigieg (eher unwahrscheinlich), Bloomberg (sehr unwahrscheinlich) oder Klobuchar (für Biden das Gegenteil eines unverhofften Lottogewinns).
- Ihm geht das Geld aus.
- Er verliert die frühen Bundestaaten Iowa, New Hampshire und Nevada und büßt dadurch so massiv an Drive ein, dass er am Super Tuesday sein Potential nicht ausschöpfen kann.


Ich halte die Szenarien vier und drei (in dieser Reihenfolge) für am wahrscheinlichsten, aber dennoch für unwahrscheinlich. Beim Auftreiben von Geldern gerät Biden tatsächlich ins Hintertreffen, hier muss er nachlegen. Für Szenario vier ist entscheidend, dass der in South Carolina (dritter Staat in dem gewählt wird) einen glanzvollen Sieg hinlegt um ein deutlich positives Signal vor dem Super Tuesday auszusenden. Bei den anderen drei Staaten hat er vielleicht in Nevada noch die größten Chancen zu gewinnen. Biden zumindest ist zuversichtlich, er arbeitet sich schon an großen Super Tuesday Staaten wie Texas ab. Auch das seine Konkurrenten schwächeln (s.o.) könnte ihm hier den entscheidenden passiven Auftrieb geben.
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

11.02.2020

Der zweite Blick


Heute ist Vorwahl in New Hampshire, in den Umfragen folgt Buttigieg auf Sanders. Die Wählerschaft der Demokraten ist ähnlich wie in Iowa, weiß und relativ links, aber schauen wir nochmal kurz zurück nach Iowa.

Auf den ersten Blick hat Buttigieg knapp vor Sanders gewonnen, Biden hat verloren und Sanders hat gute Chancen New Hampshire einzufahren. Auf den zweiten Blick gestaltet sich die Lage etwas interessanter:

Pete Buttigieg
Erster Blick: Knapp gewonnen, steht in den Umfragen der nächsten Staaten etwas hinten an.
Zweiter Blick: Das war ein starkes Ergebnis. Und wichtig: Er hat deutlich besser abgeschnitten als die Umfragen vorhergesagt haben, das könnte ein Hinweis auf eine generelle Unterbewertung sein. Was auch klar zu sein scheint, Buttigieg hat massiv von Bidens unerwarteter Schwäche profitiert. Sollte sich diese Tendenz beim ehemaligen Vizepräsidenten verfestigen, könnte das einen deutlichen Schub für seine Kampagne bedeuten. Eine weitere Sache die nicht zu unterschätzen ist, ist die, dass nun, mit wenigen Ausnahmen, klassische Vorwahlen (man kommt, füllt geheim einen Zettel aus und dann wird ausgezählt) stattfinden werden und in diesen Wahlkämpfen wird eine stark motivierte Basis wie Sanders sie hat immer weniger eine Rolle spielen. Und spätestens zum Super Tuesday wird noch ein weiterer Faktor entscheidend: Geld. Und da liegen sowohl Sanders als auch Buttigieg vor Biden. Und nun noch kurz ein Blick auf die Geschichte, die letzten drei demokratischen Präsidenten waren Barack Obama (jung, charismatisch, fünf Jahre vor der Präsidentschaftswahl relativ unbekannt, politisch moderat), Bill Clinton (jung, charismatisch, fünf Jahre vor der Präsidentschaftswahl relativ unbekannt, politisch moderat) und Jimmy Carter (jung, charismatisch, fünf Jahre vor der Präsidentschaftswahl relativ unbekannt, politisch moderat). Haltet mich für blöd, aber ich glaube ich erkenne hier ein Muster.

Bernie Sanders
Erster Blick: Irgendwie hat er auch in Iowa gewonnen. Und New Hampshire sieht ganz gut aus. Er könnte den Sieg einfahren.
Zweiter Blick: So gut sieht es gar nicht aus. Obwohl der knapp auf Platz 2 steht hat Sanders, bei etwa gleichbleibender Wahlbeteiligung, statt wie 2016 knapp die Hälfte jetzt nur noch knapp ein Viertel der Stimmen erhalten. Da seine Fanbase etwa gleich oder vielleicht sogar etwas größer geworden ist, gab es 2016 wohl viele Leute die für Sanders gestimmt haben weil sie Clinton abgelehnt haben. Da es für diese Gruppe von Leuten aber dieses Jahr attraktivere Kandidaten gibt, könnte es schwer für Sanders werden, die Zustimmung auf Personen außerhalb seiner Kernunterstützer zu erweitern.

Amy Klobuchar
Erster Blick: Sie hat einen Achtungserfolg verbucht, dürfte es aber schwer haben, sollte nicht etwas gravierendes passieren (Biden und Warren schmeißen schnell hin).
Zweiter Blick: Joa, hier lohnt sich wohl kein zweiter Blick.

Joe Biden
Erster Blick: Er hat hier einen Misserfolg eingefahren. Schwamm drüber, Iowa hat keine repräsentative Demographie, spätestens ins South Carolina wird’s dann schon klappen.
Zweiter Blick: Es sieht düster aus. Man sagt, dass Iowa keine klaren Gewinner kennt aber klare Verlierer. Das meint, dass auch wenn man in Iowa gut abschneidet, es keine Garantie gibt, dass man das in den nächsten Vorwahlen wiederholen kann. Aber wenn man in Iowa klar verliert, wird man diesen Makel kaum wieder los. Biden ist geschwächt und New Hampshire wird das noch verschlimmern. South Carolina ist hier der letzte Strohhalm. Fast noch bedenklicher ist, dass sich die Geldgeber von ihm abzuwenden scheinen, und Biden stand finanziell sowieso in dieser Kampagne nicht gut da. Außerdem scheint es so, dass von dieser ganzen Impeachment- und Burisma-Sache doch was an ihm hängen bleibt.

Michael Bloomberg
Erster Blick: Ist in Iowa nicht mal angetreten und in den Umfragen spielt er noch keine so große Rolle.
Zweiter Blick: Bloombergs Umfragewerte steigen und er macht von sich reden. Ein Satz aus einer seiner Reden macht gerade die Runde, grob sinngemäß übersetzt sagt er: "Manche Leute fragen, ob es gut für das Land sei, wenn die Präsidentschaft unter zwei Multimilliardären ausgemacht wird, da frage ich mich, wer ist der andere Multimilliardär?". Das könnte tatsächlich interessant werden. Trump ist was geschäftlichen Erfolg angeht ein kleines Licht im Vergleich zu Michael Bloomberg der einer der reichsten Männer der Welt ist. Trumps Vermögen wird mit 3,1 Milliarden angegeben, wobei es berechtigte Zweifel gibt ob es nicht deutlich weniger ist. Bloombergs Vermögen wird auf 61,5 Milliarden geschätzt. Bloomberg könnte den gesamten Wahlkampf mit dem Geld finanzieren, dass im Kleingeldglas in seiner Küche steht. Er ist außerdem politisch der moderateste Kandidat, tatsächlich war er als Bürgermeister von New York noch Republikaner. Er könnte also ggf. viele moderate Anhänger der GOP sowie parteiungebundene Wähler überzeugen. Und der Super Tuesday mit einigen Staaten, in denen Wahlkampf sehr, sehr teuer ist naht. Fliegt Biden vorzeitig raus, könnte es die Stunde des Michael Bloomberg werden.

Die anderen
Erster Blick: Wer?
Zweiter Blick: Ich sehe niemanden…
"Und ich vermache meinen 1972er Gran Torino in Freundschaft an Thao Vang Lor. "
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

04.03.2020

Was…ist…da…gerade…passiert?! Keine Ahnung, aber hell fucking yeah: IT'S BIDEN TIME!!!


Die politischen Kommentatoren reiben sich noch verwundert die Augen. Ist das gestern wirklich passiert? Das hat keiner kommen sehen. Wirklich niemand. Vor anderthalb Wochen war Joe Bidens Präsidentschaftskampagne eine krankende, im Sinken begriffene Nussschale. Und jetzt? Die Nussschale sinkt nicht. Und es ist auch keine Nussschale. Es ist ein Flugzeugträger.

Gut, dass ich in den letzten Wochen nicht so viel geschrieben habe, denn jetzt wäre all das hinfällig. Um diesen historischen Super Tuesday nachvollziehen zu können, kommt jetzt eine Chronologie der Ereignisse und der damals jeweils aktuellen Einschätzungen. Nur dass wir uns richtig verstehen, ein solches Comeback hat es in der Geschichte der Vorwahlen noch nie gegeben und wird es vielleicht auch nie wieder geben. Wir haben es hier höchstwahrscheinlich mit einer Singularität zu tun. Hätte jemand vor 10 Tagen auf dieses Ereignis Geld gesetzt, könnte er wahrscheinlich jetzt aufhören zu arbeiten.

03.02.2020 Iowa Caucus
Ein kalter Februartag im Mittleren Westen. Die erste Vorwahl im Caucussystem (offene Diskussion, anschließend öffentliches Bekenntnis zu einem Kandidaten). Laut Umfragen würden der junge, moderate Bürgermeister von South Bend (IN), Pete Buttigieg und der als Demokrat antretende, aber eigentlich unabhängige Linkspopulist Bernie Sanders den Sieg unter Sich ausmachen. Wobei die Vorwahlen in diesem Staat extrem schwierig vorherzusagen sind. Würde vielleicht die moderate Amy Klobuchar aus dem benachbarten Minnessota einen Überraschungserfolg erzielen? Wie schneidet die relativ linke Elizabeth Warren aus Massachusetts ab? Und Joe Biden? Man wusste, dass die Demographie in diesem Staat ihm nicht gerade in die Karten spielt, die Frage ist eher, wie schlecht schneidet er ab? Er selber hatte das Rennen eigentlich schon verloren gegeben. Am Ende, nach einer chaotischen Auszählung steht fest, irgendwie haben Buttigieg und Sanders beide gewonnen, Klobuchar hat einen gewissen Achtungserfolg erzielt, Warren hatte sich mehr erhofft, Biden hat massiv enttäuscht und alle anderen sind nicht mal Wert erwähnt zu werden. Und der große Unbekannte der nicht mal auf dem Wahlzettel stand, in den Umfragen aber massiv am Steigen war, der moderate Milliardär und ehemalige Bürgermeister von NYC, Michael Bloomberg, pumpt hunderte Millionen in den Wahlkampf für den Super Tuesday.

07.02.2020 Debatte in New Hampshire
Die nächste Vorwahl steht an und die Kandidaten treffen sich zur Debatte im kleinen New Hampshire, um sich im nationalen Fernsehen zu fetzen. Bloomberg hat die Voraussetzungen nicht erfüllt, es ist ihm aber egal, sollen sich die anderen prügeln. Klobuchar hat ihren besten Auftritt, bei Sanders hats auch gepasst, Buttigieg so mittelmäßig, Biden enttäuschend.

11.02.2020 Vorwahl in New Hampshire
New Hampshire wählt, Sanders kommt auf 1, hat aber absolut gesehen deutlich weniger Stimmen als 2016, Buttigieg fährt seinen nächsten Achtungserfolg ein und kommt ganz knapp auf 2. Klobuchar fährt einen Riesenachtungserfolg ein und kommt knapp dahinter auf 3. Warren schmiert etwas ab (und das in ihrem Nachbarstaat), die Bidenkampagne in New Hamphire kollabiert völlig und er landet mit 8% auf einem vernichtenden vierten Platz. Bloomberg steigt weiter in den landesweiten Umfragen und pumpt weiter riesige Mengen Geld in Wahlwerbung. Biden ist schon gar nicht mehr da, als das Ergebnis verkündet wird. Vor einem mageren Publikum sagt er, dass es in South Carolina besser laufen wird. Kritiker merken an, dass dieser Staat der letzte verzweifelte Strohhalm für Biden sein wird. Wenn er hier nicht gewinnt, dann ist er endgültig erledigt, denn davor kommt noch Nevada, wo er praktisch chancenlos ist. Und selbst wenn er South Carolina gewinnt, sieht es für seine Kampagne nicht gut aus. Währenddessen beginnt Sanders in den Umfragen immer weiter nach oben zu klettern und überholt Biden dessen Werte nach unten rauschen.

12-18.02.2020 Das Feld lichtet sich
Mehrere Kandidaten, die in New Hampshire und Iowa chancenlos waren, schmeißen hin.

19.02.2020 Debatte in Nevada
Warren schlägt sich sehr gut, der Rest passabel. Auch Biden, aber die Kritiker sagen, für die Situation in der er ist, war das zu wenig. Darüber hinaus scheint Biden das Geld auszugehen. Sanders steigt weiter in den Umfragen, alle anderen stagnieren oder verlieren, auch Bloomberg, dessen Performance in der Debatte eher lausig war. Trotzdem pumpt er weiter riesige Summen in den Wahlkampf.

22.02.2020 Nevada Caucus
Vorwhalen in Nevada im Caucus-System. Viele Latinos, auch viele Schlechtverdiener und gewerkschaftlich Organisierte in der Wählerschaft. Sanders gewinnt, Biden auf Platz 2 aber das mit gerade 17,6%. Für den Rest läuft es schlecht, aber das hatten bereits alle erwartet. Nevada ist ein relativ kleiner Staat, nicht früh genug im Kalender um so richtige Signalwirkung zu haben, man schielt nach South Carolina, das deutlich größer ist und eine sehr diverse demokratische Wählerschaft hat, die zu einem großen Teil aus Afroamerikanern besteht. Der Tenor: Es ist Bidens letzte Chance. Wenn überhaupt. Sanders steigt in den Umfragen weiter nach oben.

25.02.2020 Debatte in South Carolina
Irgendwie passiert hier nicht viel. Bloomberg steht besser da, als in der letzten Debatte. Alle schielen ein bisschen in Richtung von Tom Steyer, dem Milliardär (aber nicht so reich wie Bloomberg), der die anderen Staaten mehr oder weniger übergangen hat und von Anfang an alles auf South Carolina (vor allem sehr viel Geld) gesetzt hat. Aber auch hier passiert nicht viel. An der Umfragenfront tut sich nicht viel, was für Sanders gut, für alle anderen schlecht ist. Sanders ist landesweit bei knapp 30% was sehr viel ist (auf Zwei kommt Biden mit um die 17%). Sollte er sich auf 35% zubewegen, dürfte er nur noch schwierig zu stoppen sein. Man schaut auch gespannt auf die Umfragen für South Carolina. Biden ist bei etwa 37%. Damit würde er gewinnen, das wäre aber auch die Mindestanforderung um überhaupt noch realistische Chancen zu haben. Pessimisten rechnen mit weniger.

29.02.2020 Vorwahl South Carolina
Bam! Biden gewinnt! Und übertrifft sämtliche Erwartungen. Das hätte keiner gedacht. Fast 50%! Die Jugend wurde nicht für Sanders extrem mobilisiert, so wie er es sich erhofft hatte. Alte, Moderate, Afroamerikaner sind ruhig und unaufgeregt zur Wahl gegangen und haben einfach so Biden gewählt. Und das in Massen. Im Popular Vote aller Vorwahlen zusammen genommen, zieht er damit sogar an allen anderen vorbei. Hoppla. Aber reicht das? Wahrscheinlich nicht für den Super Tuesday. Dafür ist die Landkarte zu vorteilhaft für Sanders. Und die Zeit ist viel zu kurz, in gerade einmal vier Tagen wird gewählt. Da kann sich in der Stimmung eigentlich nicht so viel ändern, wie nötig wäre. Aber vielleicht wird Sanders' Sieg soweit eingetrübt, dass im weiteren Verlauf noch etwas möglich ist. Steyer der viel Geld in diese Wahl gesteckt hat und sich entsprechend der Umfragen etwas Hoffnungen auf einen Überraschungssieg gemacht hat, schmeißt hin.

01.03.2020 Buttigieg gibt auf
Der junge Hoffnungsträger Pete Buttigieg beendet seine Kampagne etwas überraschend. Er hatte zwar in Iowa und New Hampshire beachtliche Erfolge zu verbuchen gehabt, aber Nevada und South Carolina waren nicht gut gelaufen und in den Umfragen, landesweit und für den Super Tuesday, lag er nur bei gut 10%. Das ist beachtlich wenn man bedenkt, dass er nur Bürgermeister einer mittelgroßen Stadt war, er hat es aber nicht geschafft die Begeisterung für ihn in eine breite Bewegung umzumünzen. Aber er hat beeindruckend auf sich aufmerksam gemacht und er schaltet blitzschnell. Direkt bei der Bekanntmachung seines Rückzuges verkündet er, mit all seinem Charm, ab jetzt Joe Biden zu unterstützen. Da seine Anhänger moderat und eher undogmatisch sind, werden sie wohl auch zum größten Teil ins Bidenlager wechseln. Was für ein Move! Eine Koalition der Vernunft scheint sich plötzlich um Biden zu bilden.

02.03.2020 Klobuchar zieht nach
Amy Klobuchar, die es jetzt wirklich schwer hat sich noch zu halten, aber eben auch 5-7% Anhängerschaft hat, verkündet ebenfalls, dass sie ihre Kampagne beendet. Und das sie ebenfalls Joe Biden unterstützt. Wie bei Buttigieg ist anzunehmen, dass ihre Leute fast vollständig ins Bidenlager wechseln. Und das Stunden, bevor die ersten Wahllokale zum Super Tuesday öffnen. In den ganz wenigen Umfragen die es aus diesen zwei Tagen gibt, scheint Biden einen Sprung nach oben zu machen. Aber alle sind sich einig: es wird verdammt schwer. Zu weit abgeschlagen ist er in vielen Staaten. Er hatte am Schluss so wenig Geld, dass er in den meisten Staaten im Prinzip keinen Wahlkampf gemacht hat. Zudem ist Bloomberg noch im Rennen, der in einigen Gebieten ordentliche Prozente vorweisen kann. Es droht ein Szenario in dem Sanders als strahlender Sieger zum Platz geht, weil sich die Moderaten die Stimmen gegenseitig weggenommen haben. Egal, Biden wird wohl einige Staaten gewinnen, es kommt noch eine ganze Reihe an Vorwahlen, mal schauen wie sich das entwickelt. Betrachtet man das Geld, hat Bloomberg 560 Millionen investiert, Steyer, der schon draußen ist, 210 Millionen, Sanders 55 Millionen, Buttigieg (draußen) 36 Millionen, dann Warren mit 27 Millionen, dann Klobuchar (draußen) mit 17 Millionen und dann kommt erst Biden mit 16 Millionen Dollar. Ohje. Nicht mehr lange, und der Super Tuesday beginnt. Und doch kommt noch ein Knaller, der sehr beliebte Beto O'Rourke aus Texas, der leider schon früh aus dem Rennen geschieden ist, gibt öffentlich seine Unterstützung für Biden bekannt und kurze Zeit später stehen er, Klobuchar und Buttigieg zu dritt in Texas auf großer Bühne und halten ein flammendes Bekenntnis zu Biden, der nun die Moderaten und Vernünftigen zum Sieg führen soll! Was für eine Szene!

03.03.2020 SUPER TUESDAY
Die ersten Zahlen laufen über die Bildschirme. Sanders gewinnt Vermont, gut, wen überrascht es, es ist sein Heimatstaat, stellt aber nur wenige Delegierte. Biden gewinnt in Virginia, gut, hier wurde er bereits als stark eingeschätzt. Aber es scheint als würde er hier sogar mit ordentlich Vorsprung gewinnen.

Dann North Carolina, geht ebenfalls an Biden, und auch mit dick Vorsprung.

Bloomberg gewinnt Amerikanisch Samoa (wen interessierts…).

Es wird langsam interessant. Biden gewinnt Alabama mit großem Vorsprung. Und plötzlich schauen alle ungläubig. Biden führt in Massachusetts, dem Heimatstaat von Elizabeth Warren, in dem Sanders auch als stark eingeschätzt wurde. Außerdem führt Biden in Oklahoma das laut Umfragen eigentlich an Bloomberg hätte gehen müssen und Biden führt in Maine das Sanders eigentlich schon in der Tasche hatte.

BAM, nächster Hammer, Biden führt in Texas. In TEXAS! Fette 228 Delegierte gibt es hier zu gewinnen.

BAM, nächster Hammer, Biden scheint von der Unterstützung Klobuchars auf den letzten Metern fett profitiert zu haben, denn so wie es aussieht führt er in Minnessota. Und so geht es weiter. Tennessee: Biden, Arkansas Biden. Irgendwo dazwischen geht Colorado noch an Sanders.

Um 19:22 Pazifischer Zeit tritt Biden in Los Angeles auf. So sehen Sieger aus. Nach all der Kritik, nach all der Schmach wirkt der Mann, der sein ganzes Leben in der Demokratischen Partei verbracht hat und so oft an der Präsidentschaftskandidatur gescheitert ist, wie befreit.

Sanders führt in Kalifornien und zwar klar, das haben alle erwartet und das könnte ihm am Ende dieses Abends die meisten Delegierten einbringen. Und er ist dennoch geschlagen. Ebenso führt er in Utah. Während nun feststeht dass Biden wirklich Massachusetts gewonnen hat und Warrens Kampagne in Trümmern liegt holt Sanders in Texas auf und geht in Führung nur um diese kurz danach wieder an Biden abzugeben, dessen Vorsprung dann sukzessive wächst. Es ist der Wahnsinn.

Trump und sein Kumpel Sen. Lindsey Graham (R-SC) ist die Angst vor einem Joe Biden als Kandidat ins Gesicht geschrieben. Und dann kommt es. Michael Bloomberg gibt auf und wird ebenfalls Biden unterstützen.

Bloomberg ist ein alter Mann mit absurd viel Geld, der in seinem Leben nur noch einen einzigen Sinn zu sehen scheint: Donald Trump muss geschlagen werden. Und nun wird nicht nur ein Teil dieser absurden Menge Geld in Bidens Wahlkampf fließen, Bloomberg hat darüber hinaus eine brutale Wahlkampfmaschinerie aufgebaut, die an Effektivität und Leistungsfähigkeit ihres gleichen sucht und die nun nur noch an einem Ziel arbeitet. Joe Biden, 46. Präsident der Vereinigten Staaten. Wow. WAS!FÜR!EINE!NACHT!
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

21.04.2020

Pandemie!


So, die Coronapandemie ist zwar mittlerweile (vor allem in den USA) deutlich schlimmer als besser geworden, aber anscheiend hat man sich mittlerweile etwas daran gewöhnt, folglich gibt es auch wieder im politischen Amerika etwas zu berichten. Da jetzt länger nichts mehr von mir kam, gibt es nun ein größeres Paket.


Wisconsins Fiasko

In Wisconsin wurden Vorwahlen abgehalten. Aber nicht nur das, es sollten auch einige Posten auf Bundesstaatsebene neu vergeben werden. Gov. Tony Evers (D-WI) hatte vor, diese Wahl stattfinden zu lassen, kurz vorher, aufgrund der Pandemieentwicklungen, diese aber doch noch zu verschieben oder eine unkomplizierte Briefwahl für alle zu ermöglichen, denn: Warteschlangen mit vielen Menschen -> nicht gut, alte Leute als Wahlhelfer im dichten Gedränge der Wahllokale -> nicht gut. Die Republikanische Partei in Wisconsin, die in den beiden Kammern des Staatsparlamentes und am Staatsgerichtshof die Mehrheit hat, hat das in einer wirklich schändlichen und demokratiefeindlichen Weise. die auch noch eine Vielzahl von Menschenleben in Gefahr brachte, verhindert. Das Resultat war ein einziges Fiasko. In Milwaukee, der größten Stadt des Bundestaates, gibt es normalerweise 180 Wahllokale, aufgrund der Pandemiebestimmungen und weil haufenweise Wahlhelfer (die normalerweise ein recht hohes Durchschnittsalter haben) abgesprungen sind wurden nur 5 (!!!!!!!) aufgemacht.

Obwohl viele Menschen aus Angst vor der Pandemie zu Hause geblieben sind, haben sich endlose Schlangen, z.T. durch ganze Straßenzüge hinweg gebildet. Warum haben die Republikaner das gemacht? Sie versprechen sich von einer niedrigen Wahlbeteiligung eine höhere Chance darauf, die Wahl eines (!) Richters am obersten Staatsgerichtshof, in dem sie eine 5 zu 2 Mehrheit haben (!), für sich zu entscheiden. Ja, tatsächlich, mehr stand nicht auf dem Spiel.

Normalerweise versuche ich mich mit politisch gefärbten Kommentaren zumindest etwas zurückzuhalten aber hoffentlich fällt denen das am dritten November auf die Füße. Die Bevölkerung Wisconsins ist, gelinde gesagt, massiv angepisst. Die Republikanische Partei Wisconsins hat am Dienstag noch einen absolut unverschämten Tweet in die Welt gesetzt, in dem sie verkündet haben, dass die Städte ja nur genügend Wahllokale hätten öffnen müssen um die Schlangen zu vermeiden. Viele Wisconsiniten haben diesen Tweet schlicht mit "gfy" (go f*** yourself) kommentiert. Tja, die Chancen für Joe Biden diesen Staat zu holen, der 2016 von Trump geholt wurde und in dem er in den Umfragen im Schnitt um knapp 3% führt, dürften sich damit hoffentlich deutlich verbessert haben.

+

Same same in Florida

Ok, in Florida gab es kein Wahlfiasko. Aber eines anderer Art. Sen. Rick Scott (R-FL) hatte im Jahr 2013, als er noch Gouverneur von Florida war, eine Software eingeführt, über die dann sämtliche Anträge auf Arbeitslosenunterstützung laufen sollte. Das System war absichtlich unnötig kompliziert, was die offiziellen Arbeitslosenzahlen niedrig gehalten hatte, mit denen Scott dann glänzen konnte. Da die meisten Armen und Arbeitslosen so oder so die Demokraten wählen, konnte er auf deren Meinung sonst was geben.

Tja, die Zeiten haben sich geändert und da Florida nun sehr stark von massiv gestiegenen Entlassungen aufgrund der Pandemie betroffen ist, kriegt jetzt eben nicht nur ein Kernklientel der Demokraten die unschönen Auswüchse dieses Systems zu spüren. Nun sind die Leute sauer auf Rick Scott, der sich als enger Verbündeter Trumps präsentiert hat. Und/oder auf Ron DeSantis, den amtierenden Gouverneur, ebenfalls Republikaner. Rufen wir uns kurz in Erinnerung: Trump hat Florida 2016 mit nur 1,2 Prozentpunkten Vorsprung geholt und für ihn, ist der Staat mit seiner sehr großen Einwohnerzahl, was die Chancen auf eine Wiederwahl angeht "too big to fail". Dazu passen auch gut die neuesten Entwicklungen der Umfragen: Eine Univision-Umfrage vom 06.03 bis zum 12.03 sah Trump bei drei Punkten Vorsprung [1], eine UNF-Umfrage vom 31.03 bis 04.04 sah hingegen Biden mit 6% vorne.

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40% unzufrieden mit Trumps Krisenmanagement

Moment, nur 40%?! Tja, es handelt sich hierbei aber nicht um 40% der potentiellen Wähler sondern um 40% der Personen, die 2016 für Trump gestimmt haben. Dass Trump bei Demokraten oder Unabhängigen, die zu den Demokratne oder wirklich zu keiner Partei tendieren, sehr unbeliebt ist, wissen wir längst. Es scheint aber nun in dieser Sache zum ersten mal ein Unbehagen größeren Ausmaßes der Trumpanhänger gegenüber ihrem Präsidenten zu entstehen. Wir werden das weiter beobachten.

+

Trump Bump

Als die Pandemie anschwoll, stiegen Trumps Beliebtheitswerte. Man fragte sich schon, was denn nur mit den Amerikanern los sei. Dazu muss man verstehen, dass sich viele US-Bürger in Krisenzeiten hinter ihren Präsidenten stellen, no matter what. Man nennt das auch den "rally around the flag"-Effekt, so beobachtet ebenfalls nach dem 11. September 2001 bei George W. Bush. Dieser Anstieg in den Werten ist aber wohl schon wieder vorbei, deswegen auch "Trump Bump" genannt. Während von 18-19.03 55% der volljährigen Amerikaner aussagten, der Präsident mache bei der Krisenbewältigung eine gute Arbeit, waren es vom 01.-02.04 nur noch (seine üblichen) 47%[3].

+

Wem nützt die Pandemie?

Wird Biden oder Trump im Hinblick auf die Präsidentschaftswahl profitieren? Schwierig zu sagen, sollte die Pandemie länger andauern, könnte es im November zu einer niedrigen Wahlbeteiligung kommen, was tendenziell eher den Republikanern nützt, außerdem sind ältere Demokraten eine von Bidens Kerngruppe und bei diesen könnte der Effekt noch stärker ausfallen. Auch könnte es ein, dass sich die Amerikaner im Krisenfall hinter ihren Präsidenten stellen, wobei aktuelle Zahlen das eher nicht zu belegen scheinen (s.o.). Trotzdem sehe ich den Vorteil eher bei Biden, aus folgenden Gründen:

- das Krisenmanagement der Trump-Administration war bis jetzt eher räudig, die USA sind momentan weltweit führend mit Fallzahlen und Opferzahlen. Die Wahlbevölkerung kriegt also dieses mal das Versagen der Regierung unmittelbar zu spüren und teilweise sind die Zustände unmittelbar auf Trump zurückzuführen (Fehlentscheidungen, Verharmlosungen in der Anfangszeit, kaum funktionsfähiger Regierungsapparat, Schließung einer von Obama gegründeten Seuchenschutzgruppe).
- Eine von Trumps zentralen Wahlbotschaften war: Hey, drauf geschissen, was die anderen über mich und meine Regierung sagen, der Wirtschaft geht es blendend! Tja, das ist nun nicht mehr der Fall und das wird bis November auch eher schlimmer als besser. Historisch profitieren amtierende Präsidenten etwas von guter Wirtschaft, geht es Bergab schadet es ihnen deutlich.
- Trumps Stärke im Wahlkampf sind große Massenveranstaltungen mit Liveauftritt, während das wiederum Bidens Schwäche ist. Tja, das ist erst mal nicht mehr drin.
- Das aktuelle Chaos und die beschränkte Handlungsfähigkeit der Regierung zeigen, was passiert, wenn man, wie bei Republikanern üblich, auf einen sehr schlanken Staat setzt. So eine Krise ist die beste Werbung für einen gefestigten, starken Staatsapparat (wie man z.B. in Deutschland sieht), eine Richtung, für die die Demokraten stehen
- Die aktuelle Entwicklung, dass Afroamerikaner aufgrund systemischer Ungleichheiten um ein vielfaches mehr vom Coronatod bedroht sind, kann dazu führen, dass diese Gruppe im November deutlich mobilisiert auftritt. Und ich muss an dieser Stelle nicht erwähnen, für welchen Kandidaten die sich mehrheitlich entscheiden werden.

+

Die Gretchen-Frage

Biden hat noch vor Sanders Ausstieg verkündet, dass er das Rennen um die Kandidatur als gelaufen ansieht und sich deshalb auf die Suche nach einer Kandidatin für das Amt der Vizepräsidentin machen wird (ja, er sucht explizit eine Frau). Sehr gute Chancen werden der Gouverneurin von Michigan, Gretchen Withmer (D-MI) zugesprochen. Withmer hat als Gouverneurin Regierungserfahrung, macht in Punkto Krisenmanagement einen guten Eindruck, außerdem ist die in ihrem Heimatstaat sehr beliebt. Und da ihr Heimatstaat Michigan ist, welcher von Trump 2016 sehr knapp gewonnen wurde, hätte Biden den damit schon fast in der Tasche.

+

Verdächtiges aus Georgia

Am 24.01.2020 gab es ein Meeting hinter verschlossenen Türen, in dem einige Senatoren über eine mögliche Pandemie aufgeklärt wurden. Rein zufällig haben kurze Zeit später einige Senatoren "interessante" Aktiengeschäfte getätigt, z.B. die erst kürzlich ernannte Senatorin Kelly Loeffler (R-GA) so wie Senator David Perdue (R-GA). Beispielsweise eine Investition von 185.000 US$ in die Firma DuPont de Nemours, die, rein zufällig natürlich, Schutzausrüstung herstellt oder der Verkauf von Anteilen im Millionenwert an beispielsweise Fluggesellschaften, Hotelketten und der Kauf von Anteilen an Medizinprodukteherstellern oder einer Firma die Teleworkingsoftware entwickelt. Ein Schelm, wer böses dabei denkt. Einige Wähler die selber Geld verloren haben oder sich jetzt in einer wirtschaftlich schwierigen Situation befinden, sind natürlich stinksauer. Wie gut, dass bald Senatswahlen sind und beide Senatoren in ein und dem selben Staat gleichzeitig zur Wahl stehen. Und das auch noch in einem Staat, in dem Biden durchaus Chancen haben könnte. Hinzu kommt noch die Tatsache, dass wenn zwei Senatoren gleichzeitig gewählt werden (was eine Seltenheit ist) in der Regel beide Sitze von der gleichen Partei geholt werden. Das könnte den Hoffnung der Demokraten den Senat zu erobern spürbaren Aufwind geben.

+

[1] https://st1.uvnimg.com/11/92/701333304b ... -final.pdf
[2] https://www.unf.edu/uploadedFiles/aa/co ... Survey.pdf
[3] https://abcnews.go.com/Politics/fewer-h ... d=69940187
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

15.07.2020

Überblick

So Leute, ich war eine ganze Weile etwa offscreen, ich hoffe euch aber nun wieder mit Informationen versorgen zu können. Ich hatte einiges geschrieben und vorbereitet, die letzten Wochen waren aber so wild, das eigentlich ständig alles über den Haufen geschmissen wurde. Ich möchte euch jetzt mal einen Überblick über den Stand der Dinge geben.

Der Failmaster

Für Donald Trump ist in den letzten Monaten eigentlich alles schief gelaufen, was schief laufen konnte, nun steckt er massiv in der Klemme und mit ihm das ganze Land. Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es möglich scheint, das wir gerade Zeuge des Untergangs einer Weltmacht sind. Sie haben es verbockt. Sie wären wahrscheinlich mit einem Präsidenten der einfach nichts gemacht hätte, besser dran gewesen. Die USA hatten eigentlich Glück gehabt, im Vergleich zu anderen Ländern. Während Italien das Pech hatte als erstes Land neben China schnell massiv betroffen gewesen zu sein, hatten die USA erst ein relativ spätes Ansteigen der Infiziertenzahlen. Doch diese Zeit wurde von der Regierung Trump nicht genutzt.
Als die erste Welle dann kam, hätten sie das Land schnell und massiv runter fahren müssen. Haben sie nicht gemacht. Als die massive erste Welle dann etwas abflachte, hätten sie die Maßnahmen durchziehen müssen. Doch stattdessen solidarisiert sich der Präsident mit Gegnern der Einschränkungen, verpricht gegen die Krankheit nicht effektive Mittel als Wunderwaffe (und irgendwie errinerte das einen an das Ende des Dritten Reiches, als man der Bevölkerung erzählte Wunderwaffen würden den Sieg bringen) und schlägt öffentlich vor, man sollte doch mal schauen, ob es hilft sich Desinfektionsmittel in die Lungen zu spritzen.
Das Ergebnis ist eine einzige Katastrophe. Während die Europäer wieder anfangen ihre Wirtschaft aufzubauen, kämpfen die Vereinigten Staaten mit der zweiten Welle, die von den Zahlen her viel massiver ist, als die erste.
Bisher konnte man sich noch an die Hoffnung klammern, dass bereits Infizierte langfristig immun sind, das scheint aber so nicht der Fall zu sein und damit steht es auch in Frage, ob schnell ein langfristig wirksamer Impfstoff auf den Markt gebracht werden kann, was ja die Rettung hätte sein können, egal wie sehr man es vorher gegen die Wand gefahren hat.
Noch sind die neuesten Todeszahlen niedrig, in Florida, am neuen Ground Zero stoßen die Intensivpflegekapazitäten aber gerade an ihre Grenzen, die Amerikaner warten auf ein neues Sterben. Doch anstatt Maßnahmen zu propagieren, die nicht schwer umzusetzen wären und jedem Idioten einleuchten müssten, weigert sich der Präsident öffentlich Masken zu tragen und demontiert Anthony Fauci, der Drosten der USA, der ein sehr hohes Ansehen und Vertrauen genießt.
Andere Länder ziehen derweil ihre Kosequenzen. Anderson Cooper von CNN hat es treffend beschrieben: Wir, eine Weltmacht und die größte Volkswirtschaft der Erde, wir, die als einziges Land Menschen auf den Mond gebracht haben, können nicht mal mehr nach Paris fliegen.
Viele Amerikaner begreifen langsam, dass ein funktionsfähiger Staat, ein menschenorientiertes Gesundheitswesen und ein tragfähiges Sozialsystem vielleicht die persönliche Freiheit einschränken und im US-Cowboykapitalismus nicht den Profit generieren, den man gerne noch gehabt hätte, dass es aber in einem Fall, wie er jetzt eintritt, Menschen, Regionen und sogar den ganzen Staat vor dem Absturz bewahren, oder ihn zumindest mildern oder erträglich machen kann.
Und wenn das nicht genug wäre, treten nun Schwächen und Fehler zu Tage, die für sich genommen vor 10 Jahre noch einen riesen Skandal erzeugt hätten, die jetzt aber fast unter den Tisch fallen, wie eine Beugung des Rechtsstaates durch missbräuchliche Verwendung der prsäidentiellen Begnadigungsbefugnis, Russen die in Afghanistan Kopfgelder auf U.S. Soldaten aussetzen, ohne dass der Präsident etwas dagegen unternimmt, oder die konsequente Ignoranz gegenüber einer breit aufgestellten Bewegung, die sich gegen die Benachteiligung ganzer Bevölkerungsschichten auflehnt.

Die Mogenluft

All das, bedeutet enormen Aufwind für die Demokraten, auch wenn es gegenwärtig so aussieht, als würden sie ein kaputtes Land erben.
Trump steht vor einem massiven Dilemma, in dem er verliert, egal wie er sich entscheidet.
Wir erinnern uns, dass die Wahl 2016 sehr sehr knapp ausgegangen ist, und das mit einer historisch unbeliebten Kandidatin der Demokraten. Wenn Trump sich dafür entscheidet sich der Mitte zuzuwenden, vierliert er seine Base und auf diese ist er angewiesen. Er kann Biden nicht persönlich diskreditieren, ganz einfach weil Biden vielleicht nicht der perfekte, visionäre Präsidentschaftskandidat ist, aber dafür ein netter Alter Mann, gegen die meisten Leute einfach nichts haben und ihm auch einiges gerne verzeihen.
Somit bleibt Trump nur eine Wahl: die Base befeuern, bis zum bitteren Ende und irgendwie die Wahlbeteiligung niedrig zu halten, sei es mit schmutzigen Tricks wie die Einschränkung der Möglichkeit zur Briefwahl oder die Verkomplizierung der Wählerregistrierung.
Ein gefährliches Spiel, denn Trump riskiert, mit sich die gesamte Republikanische Partei in den Abgrund zu reissen, denn die Mitte wendet sich massiv ab und die Anhänger der Demokraten werden immer enthusiastischer. Entsprehend der Umfragen, unter der Annahme, dass sie richtig liegen (und das ist zwar Gegenstand hitziger Diskussionen, aber mein Eindruck ist, dass die Demoskopen aus den Fehlprognosen 2016 gelernt haben) würden die Demokraten bei den Präsidentschaftswahlen einen Erdrutschsieg einfahren. Nach gegenwärtigem Stand würde Biden 416 Wahlmännerstimmen bekommen, Trump 132. Und es scheint sogar nicht einmal das Ende der Fahnenstange zu sein denn Trumps Vorsprung in tiefroten Staaten, von denen die Republikaner sich nie hätten erträumen lassen, dass sie hier auf Defense spielen müssten, wie Alaska, Arkansas und Utah ist gefährlich geschrumpft. Dieser Trend scheint das Unmögliche greifbar werden zu lassen: Eine demokratische Mehrheit im Senat und damit die Kontrolle der gesamten Legislative. Sollte sich dieser Trend verhärten, wird es interessant wie viele Jahre es dauern wird bis sich die Republikaner davon erholen oder ob es zu einer kompletten Neuordnung der amerikanischen Parteienlandschaft kommt.
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

16.07.2020

Biden baut Führung aus

Es sah schon gut für Biden aus, jetzt verfestigt sich aber sein Vorsprung auf hohem Niveau. Entsprechend einer Quinnipiac-Umfrage(1) führt Biden landesweit mit 15% Vorsprung, vor einem Monat waren es "nur" 8%. Gestützt wird diese Entwicklung vor allem durch Wähler, die sich als unabhängig betrachten*.

Außerdem interessant: Biden führt bei weißen Wählern mit Hochschulabschluss mit 64% zu 31%. Diese Wählergruppe ist in der Regel gut informiert und es wird sehr schwer für Trump, diese Leute ohne einen grundlegenden Politikwechsel wiederzugewinnen. Da diese Wähler zu einem großen Teil in den derzeit als wahlentscheidend geltenden Vorstädten der großen Metropolen leben, kann es sein, dass Trump viele weitere Kandidaten die weiter unten auf dem Wahlzettel stehen mit sich in den Untergang reißt (Senatoren, Abgeordnete, ggf. auch Staatssenatoren und Staatsabgeordnete bis hin zu Richtern, Sherifs und Hundefängern). In der Amtszeit von Barack Obama wurden diese so genannten Downballot-Races sträflich vernachlässigt, mit teilweise schlimmen Folgen- Es sieht nun aber so aus, als könnte hier eine entscheidende Wende für die Demokraten stattfinden.

Was noch erschwerend hinzukommt, Trump kann aufgrund der Pandemie gerade keine großen Wahlkampfauftritte hinlegen. Viele Menschen, die in einem Innenraum ohne Maske schreien und singen, sind gerade nicht so in. Die meisten Staaten würden so etwas gerade gar nicht zulassen und selbst wenn er einen willigen und dummen Gouverneur finden würde, wäre die Frage, ob überhaupt viele Menschen kommen würden. Ein mahnendes Beispiel ist die grandios schiefgelaufene Veranstaltung in Tulsa (OK).

In diesem Zusammenhang sei ein Treppenwitz der Geschichte zu erwähnen, der Gouverneur von Oklahoma Kevin Stitt (R) hatte stolz verkündet, Trump in Oklahoma begrüßen zu dürfen, dafür war er auch persönlich bei der Veranstaltung zugegen. Tja, so wie es aussieht, ist er an Covid-19 erkrankt.

Dass Trump derzeit keine Wahlkampfveranstaltungen machen kann, frustriert ihn massiv, immerhin bereitet es ihm ganz doll Freude, vor johlenden Anhängern das Schlimmste im Menschen hervorzuholen. Außerdem ist und war es neben Social Media das zentrale Element seiner Wahlkampfstrategie. Die Frustration ist so groß, dass er jetzt seinen Wahlkampfmanager Brad Parscale mehr oder weniger gefeuert hat. Genau der Brad Parscale, der noch vor wenigen Monaten auf Twitter damit geprahlt hat, er würde demnächst, was Wahlwerbung angeht, "den Todesstern abfeuern". Diese Aussage geschah wohl in Unwissenheit darüber, dass der Todesstern eine Waffe war, deren Ziel darin bestand, ein faschistisches Regime zu erhalten und außerdem einen Konstruktionsfehler hatte, der es erlaubte, ihn mit einem Ein-Mann-Jäger zu zerstören.

Nichts desto trotz, es ist noch einige Zeit bis November und es kann noch viel passieren.


(1) https://poll.qu.edu/national/release-de ... aseID=3666
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

16.09.2020

Der aktuelle Stand der Dinge

So, es sind nicht mal mehr zwei Monate bis zur Wahl, genauer gesagt z.T. deutlich weniger, denn in einigen Staaten, darunter auch entscheidende Schwergewichte wie Florida, beginnen schon bald mit dem so genannten Early Voting. Und wenn so bedenkt, wie sich die Probleme mit der Pandemie oder mit den Problemen bei der staatlichen Post entwickelt haben, werden dieses Jahr wahrscheinlich sehr viele Menschen von dieser Möglichkeit des Wählens vor dem eigentlich Wahltag Gebrauch machen, zumindest dort wo sie angeboten wird.

Das bedeutet wiederrum, dass wenn einer der Kandidaten derzeit im Hintertreffen ist, es sehr sehr schwer ist, bzw. immer schwerer wird, daran noch etwas zu ändern. Eine gute Gelegenheit also, sich mal den aktuellen Stand der Dinge anzuschauen.

Zunächst einmal jedoch ein wichtiger Hinweis. Die Pandemie und die Unterminierung der Wahlinfrastruktur durch die amtierende US-Administration machen diese Wahl nur schwer vorhersagbar. Auf der anderen Seite haben die Pollster schon lange herausgefunden, warum die Vorhersagen 2016 daneben lagen, auf dieser Grundlage wiederum haben sie ihre Modelle angepasst*. Alles in allem geht es also um die Frage, ob es ein Kopf an Kopf ist, oder ob es schlecht für einen Kandidaten aussieht und er eine unwahrscheinliche positive Überraschung hoffen muss.

Um es kurz zu machen, wäre heute Wahl würde Joe Biden sehr wahrscheinlich mit großem Vorsprung gewinnen. Aber schauen wir es uns einmal genauer an:

1. Landesweite Umfragen
Ja, ich weiß, so funktioniert das Wahlsystem nicht, trotzdem sind die landesweiten Umfragen ein guter Indikator und hier ist das Bild sehr eindeutig. Laut einer aktuellen Ipsos Umfrage führt Biden mit 52% zu 40%. Bemerkenswert ist hierbei, das Biden über der kritischen Marke von 50% liegt. Zwei Monate vor der Wahl entscheidet sich eigentlich niemand mehr um (außer es passieren dramatische Dinge oder ein heftiger Skandal kommt ans Licht), es wird lediglich die Zahl der Unentschlossenen kleiner. Ein Wert über 50% heißt, selbst wenn sich alle Unentschlossenen für Trump entscheiden (was schon höchst unwahrscheinlich ist) hat Joe Biden noch einen Vorsprung. Wenn man dann noch hinzurechnet, dass sich 3% für den Kandidaten einer kleiner Partei entschieden haben, sprechen wir über nur noch 5% der Wähler, die man noch umwerben kann.


2. Umfragen in den einzelnen Bundesstaaten
Auch hier zeichnet sich ein eindeutiges Bild ab, laut electoral-vote.com führt Biden in den Umfragen mit 368 Wahlmännerstimmen gegen 170. Und als wenn das nicht schon verheerend wäre, der zweite Blick macht das Bild noch deutlicher. Die Anzahl der Wahlmännerstimmen die Biden nach gegenwärtiger Prognose sicher gewinnt beträgt 223 und die Anzahl der Stimmen die er wahrscheinlich gewinnt beträgt 57. Macht 280, 270 braucht man um zu gewinnen. Trump könnte also das Wunder vollbringen alle Staaten zu gewinnen die er sicher hat. Dann noch alle Staaten die er wahrscheinlich gewinnt. Dann alle Staaten in denen er einen kleinen Vorsprung hat. Und dazu noch gar alle Staaten in denen Biden einen kleinen Vorsprung hat. Und dann noch zusätzlich Wisconsin würde trotzdem verlieren.

3. Geld regiert die Welt…
…und ist trotzdem dieses Jahr überraschend unwichtig. Oder besser gesagt, die Bedeutung des Geldes hat sich verändert. Bekanntermaßen hat Trump 2016 mit einem deutlich kleineren Budget als Clinton die Wahl knapp für sich entschieden. Tatsächlich, wenn man es nüchtern betrachtet, kann es keinen großen Unterschied machen, wenn bei beiden Seiten riesige Summen im Spiel sind. Macht es einen Unterschied ob man als Fernsehzuschauer 17 oder 30 Werbespots an einem Abend für einen Kandidaten sieht? Eben. Problematisch kann es allerdings sein, wenn einem Kandidaten das Geld ausgeht. Und das scheint bei Trump der Fall zu sein. Und das ist sehr überraschend, denn er hat in der ersten Jahreshälfte verhältnismäßig viel Geld eingenommen und Biden verhältnismäßig wenig. Tja, das hat sich mittlerweile umgekehrt. Aber was noch viel wichtiger ist, Trump ist ungefähr so gut als Kampagnenmanager wie als Präsident. Er hat das viele Geld z.T. einfach verschleudert, z.B. für relativ nutzlose (weil sehr gestreut) aber maßlos teure Werbespots in den Pausen des Superbowls oder für hochwertige Briefsendungen mit golden bedruckten MAGA V.I.P-Karten, die auch nicht besonders zielgerichtet versendet worden sind, so berichten einige eingefleischte Demokraten solche Werbung bekommen zu haben.

Ein weiterer Grund ist Vorteilsnahme. Eigentlich jedes Mitglied der Familie hat in der Kampagne irgend eine hochbezahlte Stelle (die dafür aber nicht wirklich viel machen), hinzu kommt, dass die Kampagne überall auf Trumps Infrastruktur zurückgreift, wie z.B. auf seine Hotels, und der Kampagne dafür jedes Mal eine sehr saftige Rechnung ausgestellt wird. Aus diesen Gründen muss er ausgerechnet jetzt, wo es eigentlich um alles geht eine finanzielle Handbremse anlegen. Und zu allem Überfluss sprudeln bei Biden derzeit die Einnahmen. Einige Würdenträger der Republikaner geraten schon in Panik, weil sie jetzt sehen, dass die Trump-Kampagne aktuell in keiner der drei 2016 wahlentscheidenden Staaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania Fernsehwerbung laufen hat.

Außerdem hat sich für Biden jetzt doch noch ein Geldsegen aufgetan. Trump hat viel Geld ausgegeben, um in Florida doch noch die Nadel zu bewegen scheinbar hatte er auch einigen Erfolg gehabt, vor allem bei jungen Latinos im Süden des Staates. Der Druck auf Biden war schon gestiegen hier zu investieren, Florida ist jedoch für Wahlwerbung einer der teuersten Bundesstaaten überhaupt. Die Strategen schätzten dass man 15 bis 20 Millionen $ brauche, um bei eben diesen jungen Latinos einen Effekt zu erzielen und ca. 60 Millionen für eine floridaweite TV-Kampagne. Unser guter, 54 Milliarden Dollar schwerer Freund Michael Bloomberg hat sich jetzt in den Ring geworfen und Biden 100 Millionen Dollar (aka Kleingeld, dass er in seinen Sofaschlitzen gefunden hat) zur Verfügung gestellt. Sollte fürs erste genügen. Und wenn das weg ist, dann muss Bloomberg vielleicht noch an sein Kleingeldglas in der Küche und die Party kann weiter gehen.

4. Wahlbeteiligung
Wie sagt man so schön, Prognosen sind immer schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen. Die Wahlbeteiligung wird auf jeden Fall einen entscheidenden Einfluss auf den Ausgang ausüben und es ist völlig unklar, in welche Richtung das ganze kippen könnte. Zeigen die Restriktionen Wirkung und Minderheiten und junge Leute bleiben der Wahl fern? Werden die Angriffe auf das Postwesen Früchte tragen und eine große Zahl an Briefwahlstimmen die in normalen Jahren stark zu den Demokraten tendieren werden nicht rechtzeitig zugestellt? Oder bleiben vielleicht doch massenweise alte Menschen zu Hause die sonst zu den Republikanern tendieren, weil sie Angst vor Covid-19 haben? Die schnelle und massenweise Umstellung auf Briefwahlangebote wird noch einen ganz anderen Effekt haben, es kann gut sein, dass nicht wie gewöhnlich in der Wahlnacht der Sieger feststeht.

Es könnte Tage oder sogar Wochen dauern, bis die riesigen Mengen an Briefwahlzetteln ausgezählt sind. Da, wie schon gesagt, vor allem die Anhänger der Demokraten dieses Angebot nutzen, kann es sein, dass es am Wahlabend so erst mal so aussieht, als hätte Trump die Wahl mit Vorsprung gewonnen. Dieser Vorsprung wird aber Stunde um Stunde, Tag um Tag kleiner bis nach zwei Wochen Biden mit großem Vorsprung gewinnt. Ein völlig normaler Vorgang, wenn man die Funktionsweise und die Organisation der Wahlen betrachtet, Trump wird aber seinen Anhängern zurufen, dass er die Wahl rechtmäßig gewonnen hätte, wenn die Demokraten mit den Briefwählern keinen Betrug begangen hätten. Seine Anhänger werden ihm glauben, was dann passiert weiß niemand. Wie gesagt, Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.


*Umfrageinstitute fragen eine repräsentative Menge an Leuten nach ihrer Wahlentscheidung. Diese Rohdaten müssen aber anschließend angepasst werden, da die zufällig ausgesuchte Menge an Leuten nicht einem Querschnitt durch die tatsächliche spätere (zu erwartende) Wählerschaft entspricht. Aus diesem Grund werden zusätzlich zu der Frage nach der politischen Präferenz noch Fragen zu den Lebensumständen der Befragten gestellt. Das sind u.a. Dinge wie Einkommen, ethnische Zugehörigkeit, Alter und so weiter. Diese Modellierung ist die eigentliche Leistung der Institute und die Qualität der Modellierung unterscheidet gute (genaue und verlässliche) Institute von den schlechten. Die Modellierung hat natürlich den Nachteil, dass man die Zusammensetzung der Wählerschaft im Voraus abschätzen muss. Tatsächlich war 2016 der Grund für die Ungenauigkeiten aber nicht darin begründet, sondern dass es erstmalig eine Differenzierung gab, die damals noch nicht in die Modelle eingeflossen war, nämlich der Bildungsstand. Hätte man damals dieses Merkmal erfasst, wäre die Wahl korrekt vorhergesagt worden.
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Re: Wahlen und Zahlen

Beitrag von DonJohnny »

15.10.2020

Die Vergangenheit

Donald Trump ist 2016 zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Die Republikaner haben die Kontrolle über das Repräsentantenhaus gewonnen und den Senat verteidigt. Das und den ganzen Rest wissen wir.

Die Gegenwart

Es sind noch knappe drei Wochen bis zur Wahl. Stimmt nicht. Es wird schon gewählt. In einigen Bundesstaaten. Und nicht in wenigen. Und das in Staaten in denen die Chancen der Demokraten davon abhängen, dass möglichst viele Menschen wählen gehen. In Texas und Georgia ging es am Montag los. Am Dienstag wurden in Texas bereits eine Viertelmillion Stimmen abgegeben, in Georgia eine Dreiviertelmillion. Beides Staaten in denen Trump es sich nie und nimmer leisten kann zu verlieren. Trumps Kampagne ist mehr oder weniger das Geld ausgegangen, während Biden, weil er so viel davon hat, angefangen hat Radiowerbung zu schalten. Vielleicht schafft er es dadurch Wähler aus ländlichen Regionen anzusprechen. Regionen, in denen er zwar nie eine Mehrheit erlangen wird, die aber entscheidende Prozente abschöpfen könnten. Der Senat wird demnächst Amy Coney Barrett zur Richterin am Surpreme Court ernennen. Wahrscheinlich die letzte Amtshandlung einiger Republikanischer Senatoren die damit den letzten Sargnagel in ihre Wiederwahl hämmern. Viele Wähler sind stinksauer und erinnern sich wie die Republikaner 2016, viele Monate vor der Wahl, eine Abstimmung über einen Merrick Garland, einen liberalen Kandidaten, verhindert haben und damit mit einer alten Tradition brachen, nämlich der, dass wenn die Partei, die nicht den Präsidenten stellt, den Senat kontrolliert, zumindest ein vom Präsident vorgeschlagener Kompromisskandidat ins Amt gehievt wird. Man sollte vorsichtig damit sein, mit welchen Regeln man bricht, denn wenn man mal angefangen hat schmutzig zu spielen, kann das die Gegenseite ebenfalls machen. Nicht mehr viel hält die Demokraten davon ab die Anzahl der Obersten Richter einfach per Gesetz zu erhöhen um wieder annährende Parität herzustellen. Die Frage ist, ob sie damit aufhören. DC zu einem Staat zu machen und damit sicher zwei weitere demokratische Senatoren einstreichen zu können? Warum nicht? Vielleicht noch Puerto Rico? Die Chancen für Trump seine Wiederwahl zu bekommen stehen laut FiveThirtyEight bei 13%, Tendenz fallend. Aber man darf sich von der Zahl nicht täuschen lassen. Es bedeutet nämlich, dass es immernoch möglich ist, dass Trump die Wahl gewinnt. Das künstliche und halblegale Niedrighalten der Wahlbeteiligung kann erfolgreich sein. Es geht also um nicht weniger, als um die Zukunft der Demokratie in Amerika.

Die Zukunft

War die Wahl Donald Trumps ein Ausrutscher? Ein Fehler der Geschichte? Gut möglich, denn die Zukunft sieht allem Anschein nach finster aus für die Republikaner. Wenn Biden es schafft die Arbeiter und die Mittelschicht des mittleren Westens halbwegs zufrieden zu stellen, dann werden sich Michigan, Wisconsin und Pennsylvania wieder in den Kreis der Blue States einfinden. Andere Staaten verändern sich. Schauen wir kurz in die Vergangenheit um zu sehen, wie so etwas aussieht. 2004 hat George Bush Virginia mit 8,20% Vorsprung gewonnen. Virginia war ein Red State. Die Zeiten haben sich geändert, die Wirtschaft ist gewachsen, gebildete Fachkräfte sind in den Staat gezogen, vor allem aber auch die großen Städte im Norden des Staates im Großraum Washington sind stark gewachsen. Obama hat Virginia 2008 gewonnen und sogar Clinton hat hier 2016 gesiegt. Mittlerweile stellen die Demokraten den Gouverneur, den Vizgegoverneur und die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments. Virginia ist ein Blue State, in dem die Demokraten keinen großen Wahlkampf betreiben müssen um zu siegen. Biden führt hier in den letzten Umfragen mit knallharten 15% Vorsprung. Und ähnliche Tendenzen zeigen sich in vielen anderen Bundesstaaten, die einst von den Republikanern dominiert wurden. Was Virginia, aber auch auch Colorado und New Mexico bereits verändert hat, passiert gerade in Georgia, North Carolina, vor allem aber auch in Arizona, das bereits eine Senatorin der Demokraten stellt. Aller Wahrscheinlichkeit werden es demnächst zwei sein und Biden wird diesen Staat gewinnen. Auch die immer größere Zahl an "Minderheiten" (in Anführungszeichen weil sie in einigen Staaten bereits die Mehrheit stellen) verändert das Gefüge. Wählergruppen die die Republikaner durch die vergangenen vier Jahre auf lange Zeit verloren haben könnten, ebenso die Vorstädte, allen voran die berühmten White Collegeeducated Suburban Women (WCSW) die massiv die Seiten gewechselt haben. Sollte sich dieser Trend weiter fortsetzen, könnten uns demokratisch dominierte Jahrzehnte bevorstehen. Ein hoher Preis für vier Jahre die Sau raus lassen (aus Sicht der Republikaner).
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